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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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hielt ständig Ausschau nach Walen. Immer wenn sie irgendwo etwas spritzen sah, begann sie zu hoffen, und wenn sie dann so lange in die Ferne gestarrt hatte, bis sie einsehen musste, dass sich kein Schwanz und kein runder Rücken zeigen würde, errötete sie und verstummte, als hätte sie in ihrem Beruf versagt. Sie behauptete, sie wäre glücklich, ihr Leben auf winzigenForschungsschiffen oder beengten Tauchbooten zuzubringen und Kameras und Mikrophone in die Tiefen zu richten, damit das Meer seinen Sinn und Zweck preisgab. Seine Wassernixe. Wie sie sich in einer so offensichtlich feindseligen Welt zu Hause fühlen konnte, war ihm ebenso unbegreiflich wie ihre großzügige Liebe zu Tieren, denen ihre Existenz vollkommen gleichgültig war.
    Mit seiner anderen Tochter Daphne kam er besser zurecht, auch wenn sie unzugänglicher war. Mit dem Ende ihres Studiums schien sie die schlangenhafte Listigkeit ihrer Kinderjahre abgelegt zu haben. Oder aber sie hatte ihre Manipulationskunst so perfektioniert, dass er nichts mehr davon mitbekam. Das wusste er nicht genau. Daphnes Innenleben war hinter einem rauchigen Spiegel aus Freundlichkeit und Fröhlichkeit verborgen, während Livia ohne jede Scheu alles offen zeigte. Eine emotionale Exhibitionistin. Livias Problem war eine Anfälligkeit für starke Gefühle, und ihre stärksten Gefühle hegte sie derzeit für einen jungen Mann, Teddy Fenn, der ihr den Laufpass gegeben hatte. Sie hatte zu viele Filme gesehen. Sie verstand nicht, dass Liebe eine Entscheidung war, auf die man sich aus freiem Willen nach sorgfältiger Abwägung einließ oder eben nicht, und kein zufälliger Blitzschlag aus heiterem Himmel. Er hatte es ihr gesagt, aber sie wollte es nicht hören. Sie war wütend auf die Welt im Allgemeinen und Winn im Besonderen, und das weckte wiederum seinen Zorn auf sie. Im Interesse des familiären Friedens wollte er versuchen, ihn für die Dauer der Hochzeit zu vergessen, und er hoffte, dass Waskeke einen heilenden Einfluss auf sie haben und sie wieder zur Vernunft bringen würde.
    Es war Zeit, die restlichen Lebensmittel für das Abendessen einzukaufen und Biddys Irrsinnsblumen ins Enderby zubringen, wo die Duffs untergebracht waren. Mit dem Ziel, eine Verbündete für die Fahrt zu finden, suchte er nach Livia. Sie lag in der Badewanne.
    »Es ist nach zwei«, sagte er durch die Tür. »Je früher wir loskommen, desto besser.«
    »Wo ist Celeste?«, fragte Livia.
    »Oben auf dem Dach.«
    »Im Plausch mit den Wodkagöttern?«
    »Und mit deiner Mutter.«
    Es platschte. »Warte kurz.«
    Sie klapperten im alten Land Rover die Einfahrt hinunter. Zwischen Livias Knien blühten die Blumen für die Duffs wie ein Feuerwerk.
    »Sollen wir die schöne Strecke fahren?«, fragte Winn, als er auf die Straße hinausbog.
    Sie zuckte die Achseln. »Ich dachte, wir hätten es eilig.«
    Nur aus dem Haus kommen , dachte er. In der Stunde seit seiner Ankunft hatte er es geschafft, Biddy zu kränken, indem er sagte, in seinen Augen wären diese ganzen Frisuren- und Make-up-Proben Verschwendung, und versehentlich die Tür aufzureißen, als Agatha auf dem Klo im Erdgeschoss saß. Er hatte nichts gesehen, nur ihr erstauntes Gesicht und ihre nackten Schenkel (ihren Schritt hatte das leichte weiße Kleid verborgen) und ein paar Blatt Klopapier in ihrer Hand, und er hatte nichts gesagt, was die Sache nur peinlicher machte. Er hatte die Tür zugemacht – nicht zugeknallt, sondern leise und fest geschlossen – und war nach oben auf den Witwensteig entflohen, um Biddy zu sagen, dass er zum Supermarkt wolle.
    Der Tag war warm und ungewöhnlich windstill, der Himmel leer bis auf einige kleine Wolkenfetzen. Balkenzäune und struppige Sträucher säumten die Straße. Das Innere der Inselwar größtenteils von einem Gras- und Buschland bedeckt, das The Moors hieß: niedrige Hügel mit karger, brauner Vegetation und krummen Bäumen, die aussahen wie ein Stück Serengeti, das an die falsche Adresse geliefert worden war. An der Seite zum Meer standen Holzhäuser verstreut zwischen Krüppelkiefern, Moosbeerenfeldern und Sumpfland. Sie fuhren an dem welligen, von Sand begrenzten Platz des Pequod Golf Club vorbei, auf dem die ovalen Grüns aussahen wie Elefantenspuren. In der Ferne bückten und streckten sich Golfspieler und schossen unsichtbare Bälle in die blaue Luft.
    »Hast du schon vom Pequod gehört?«, fragte Livia.
    »Nein, noch nicht«, erwiderte Winn betont munter. »Ich werde Jack anrufen, um das

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