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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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er.
    Gleichzeitig sagte ihr Vater mit plötzlichem Nachdruck: »Was ist heute eigentlich auf den Straßen los?«
    »Danke, gut«, sagte Livia.
    »Die absolute Hölle«, beantwortete Winn die eigene Frage.
    Alle stockten, und nach und nach sättigte Unbehagen die Luft, als würde es mit einem Zerstäuber versprüht. Keiner von ihnen würde die Ursache ansprechen, das wusste Livia, nicht hier bei den Tomaten und auch sonst nirgends, wo ihr Vater und Teddys Vater aufeinandertrafen. Ihr Vater würde lieber sterben, als jemals Jack Fenn gegenüber zu erwähnen, dass sie beide fünf kurze Wochen lang ein gemeinsames embryonales Enkelkind gehabt hatten. Auch Livia hatte nie mit Jack darüber gesprochen. Sie hatte ihn zuletzt in einem anderenLeben gesehen, vor ihrer ungewollten Schwangerschaft, als sie noch mit Teddy zusammen war.
    »Warst du schon auf dem Platz?«, fragte Winn Jack, mit der Stimme eines guten Bekannten, der sich einschmeicheln will. Sein Körper war angespannt, mit Enthusiasmus geladen. Livia ging auf, dass er gar nicht an sie dachte, sondern nur an seinen Golfclub.
    »Erst einmal«, sagte Jack.
    »Gut!«, sagte Winn. »Gut! Freut mich.«
    Meg machte den Mund auf und sah Winn an. »Spielst du gern Golf?«, fragte sie. Von dumpfen Vokalen bedrängt, gingen die Konsonanten fast unter. Livia hatte ihrem Vater tausendmal erklärt, dass Meg alles verstand, was man sagte, aber er erstarrte immer noch jedes Mal, wenn er mit ihr kommunizieren sollte. Er starrte ihr mit vorgestrecktem Hals auf den Mund, dann die Augen, als suchte er sie zu verstehen, und kapitulierte. Er guckte auf die Uhr.
    Meg wiederholte ihre Frage noch einmal lauter, und Winn sah Livia hilflos an. Livia warf Jack einen entschuldigenden Blick zu und übersetzte: »Sie hat gefragt, ob du gern Golf spielst.«
    »O ja. Gern. Sehr gern«, sagte Winn zu Livia.
    Jack hob Megs Hand und küsste sie. Meg schloss die Augen und den Mund und sah einen ruhigen Moment lang normal aus.
    »Und, spielst du gerne Golf?«, fragte Livia Meg, und Meg lachte wie eine trompetende Gans.
    »Ich habe irgendwo gehört«, sagte Winn zu Jack, »du hättest mit dem Bluffs-Projekt zu tun.«
    »Leider ja.«
    Winn lachte jovial. »Fenn gegen die Natur.«
    »Der Leuchtturm soll nächsten Sommer versetzt werden«, sagte Jack. »Aber das ist das Einfachste vom Ganzen.« Er schilderte ausführlich einen Plan zur Sicherung eines verschwindenden Strandes durch Drainagerohre und zur Befestigung des bröckelnden Steilufers durch Eisenmatten, Beton und Steinkörbe. Oben auf dem Steilufer stand eine Reihe teurer Domizile, und die Eigentümer verloren jedes Jahr einen knappen halben Meter Rasenfläche an Wind und Regen und konnten zusehen, wie der Abgrund sich ihren Zedernterrassen näherte.
    »Ich sag’s nicht gern«, warf Winn ein, »aber die Häuser sind verloren. Noch fünf Jahre, und sie schwimmen im Wasser.«
    In Livias Fantasie entstand ein Atlantis aus Häusern mit grauen Schindeln. Unter einem weißen Schaumhimmel drehten sich die Wetterhähne in der Strömung, und über die Dächer flitzte der Schatten eines Wals wie ein Flugzeugschatten. Sie staunte über die beiden Männer und ihr lockeres Geplauder. Ihrem Vater zufolge war das Verhältnis zu den Fenns schon seit seiner Collegezeit angespannt, weil Jack nicht zum Beitritt zu den Ophidians eingeladen worden war, denen Winn längst angehörte. Außerdem hatte Winn mit Jacks Frau geschlafen (lange bevor Jack sie kennenlernte, aber trotzdem), und Livia hatte mit Jacks Sohn geschlafen. Und schließlich hatte Teddy ihr das Herz gebrochen. Sie hatte ihrer beider Kind geopfert. Was konnte intimer sein? Wahrscheinlich sollte sie froh sein, dass sich die Unterhaltung nur um Armierungseisen und Grundstückswerte drehte, auch wenn sich etwas in ihrem Inneren danach sehnte, dass sie endlich einmal zur Kenntnis nahmen, was passiert war. Die Chancen standen gleich null. Selbst als Teddy und sie noch zusammenwaren, waren die Beziehungen zwischen den Familien nicht gerade unbefangen gewesen. Bei den wenigen Begegnungen aller vier Elternteile, wenn die Familien einander in Cambridge zum Essen eingeladen hatten, waren sie alle tapfer stundenlang auf einer dünnen Eisschicht aus Belanglosigkeiten dahingeglitten.
    Jack schüttelte den Kopf. »Ich hoffe, du täuschst dich, Winn, das muss ich sagen. Das wäre nicht gut für die Insel.«
    Winn hob einen Finger. »Aber du hast da nicht gebaut, nicht wahr. Es ist sinnlos, so ’n Risiko einzugehen,

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