Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
Winns Arbeitszimmer ein Anschluss gelegt wurde. Dorthin machte sich Biddy nun auf den Weg, obwohl sie eigentlich gar nicht wissen wollte, was für neue Pflichten auf sie wartenmochten, und als sie Livias Notebook aufgeklappt hatte und das Foto auf dem Desktop sah – Teddy war nicht auf dem Bild, aber Livia hatte es auf einer Schottlandreise mit ihm zusammen aufgenommen –, beschloss sie, ihre Mails doch nicht zu checken. Vielleicht sollte sie Dominiques Rat folgen und sich ein paar ruhige Minuten alleine gönnen.
Sie setzte sich auf Winns Stuhl, einen breiten Drehstuhl aus Leder mit hoher Lehne, und drehte sich langsam im Kreis. Vor dem Fenster sah sie Daphne, Piper und Agatha auf dem Rasen liegen, aber sie verspürte keinen Wunsch, sie zu beobachten, und drehte sich weiter, bis sie wieder vor der großen grünen Fläche von Winns Schreibtischunterlage saß, mit den in Gold geprägten Lederrändern an beiden Seiten und vollkommen leer bis auf einen kleinen Stapel ungeöffneter Briefe. Nur in der Mitte lag ganz allein eine einzelne Haarklammer. Biddy hielt die Klammer ans Licht, um nach verräterischen Haaren zu schauen, aber sie war sauber. Vermutlich hatte Livia sie dort liegenlassen. Doch warum sie sich an Winns Schreibtisch frisieren sollte, war Biddy ein Rätsel.
Sie drehte sich weiter und schaute aus dem Fenster. Wenn Livia so weitermachte, würde sie bald so dürr sein wie Piper, deren Schulterblätter kantige, unmenschliche Schatten warfen, als sie die knochigen Arme nach oben und zu den Seiten streckte. Natürlich hätte sie jetzt auch einen Bauch wie Daphne haben oder schon Mutter sein können. Biddy machte sich Sorgen, dass Livia der clevere, todgeweihte Nachtfalter war, der nicht bloß von außen gegen die Laterne fliegt, sondern es irgendwie bis unter das Glas schafft und verendet – vielleicht beim Versuch, wieder hinauszufinden, vielleicht weil er in die Flamme will. Biddy fummelte mit der Haarklammer, drehte sie hin und her, klemmte sie sich aufdie Fingerspitze. Teddy war ein gut aussehender Junge, verschmitzt und weltgewandt unter seinem roten Schopf, nicht schüchtern, immer halb lächelnd, nicht zu blass, sondern sommersprossig, beinahe golden. Freundlich und charmant war er auch, aber Livia schien gar nicht zu merken, wie viel mehr Neugier und Scharfsinn und Leidenschaft sie besaß als er. Natürlich, Teddy hatte Livia gesagt, dass er sie liebe, doch so sehr es Biddy schmerzte, ihre Tochter leiden zu sehen, war sie auch enttäuscht und bekümmert darüber, dass Livia sich ihm so ausgeliefert und hartnäckig sämtliche Warnsignale ignoriert hatte. Wie hatte Biddy nur ein so verletzliches und schutzloses Wesen heranziehen können, einen verbrannten Falter, eine Schildkröte ohne Schild, genau die Art Frau, die sie selbst auf keinen Fall sein wollte?
Celeste lachte laut und triumphierend auf. Es freute sie, ihn so vollkommen überrascht zu haben. Winn war aufgeschreckt wie ein Tier und hatte dabei den Körper in seiner fantasielosen Hülle aus Polohemd und lachsfarbener Hose verdreht. Bei dem Versuch zu fliehen, hatten sich seine Füße in Baumwurzeln verheddert, so dass er stolperte und sich nur retten konnte, indem er mit beiden Händen einen Baumstamm umklammerte. Celeste wusste aus langjähriger Erfahrung, dass es nicht eben Winns Stärke war, über sich zu lachen, doch auf die Heftigkeit seiner Reaktion war sie trotzdem nicht gefasst. Zuerst durchzuckte etwas Seltsames wie Furcht oder Verzweiflung sein Gesicht, doch dann, sobald er sich gefangen hatte, glühte es vor Zorn.
»Was zum Teufel soll das?«
»Ach, hör auf, Winnifred, das war nur ein kleiner Spaß. Du lebst doch noch.«
Er hielt ihr seine Hand hin. Die Haut war gerötet und aufgeschürft. Aus der Fläche ragten kleine weiße Hautfetzen, die aussahen wie geriebener Käse. »Das ist das Letzte, was ich gebrauchen kann.«
»Gut, dass du kein Linkshänder bist.« Celeste hatte vor einer Weile gemerkt, dass sie schon zu viel getrunken hatte, und war spazieren gegangen, um sich ein wenig auszunüchtern. Wie gut, dachte sie, denn jetzt musste sie nicht befürchten, dass sie lallte.
Über Winns Gesicht huschte ein böses Grinsen. »Wie viel hast du getrunken?«
»Gerade die richtige Menge«, sagte sie. Sie hoffte, dass die künstlich geglättete Stirn, die sie wie einen Helm trug, ihr zu verbergen half, wie sehr sie sich von der Frage getroffen fühlte. »Wieso schleichst du hier rum?«
»Ich bin nicht geschlichen. Du bist nicht
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