Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
müsstest mal meine Wohnung sehen – die ist völlig leer. Jedes Mal, wenn ich Lust habe, etwas zu kaufen wie hübsche Bettwäsche oder irgendwas für die Wände oder auch nur eine schicke Seife, komme ich gleich wieder davon ab, weil ich denke, dass ich nicht lange dort sein werde, und dann bloß mehr habe, was ich wieder loswerden muss.« Sie sah Biddy erneut forschend an. »Bist du sicher, dass du keine Pause machen willst? Du könntest ein Stündchen abhauen. Ein bisschen Zeit für dich allein haben. Ich kann dafür sorgen, dass nichts anbrennt.«
»Nein, nein«, sagte Biddy und wischte ihre letzte Träne fort. »Das ist wirklich nicht nötig. Es ist wirklich nicht dieMenge dessen, was zu tun ist, sondern – aber wie nett von dir, es mir anzubieten ... Und wo könntest du heimisch werden? Weißt du das?«
Dominique Augenbrauen wanderten in die Höhe. Aber sie ging auf das Ausweichmanöver ein. »Ich habe keine Ahnung, wo das sein könnte, vielleicht nirgends. Nicht in Ägypten, nicht in Belgien. Nicht in Frankreich – da wohnen meine Eltern jetzt. Sie sind vor zwei Jahren dahin gezogen. Ich weiß nicht, ob Daphne es erzählt hat. New York finde ich super, aber es ist mir zu anstrengend. Nicht in Deerfield. Nicht in Michigan.«
»Trotzdem ist die Auswahl noch groß«, sagte Biddy. »Vielleicht solltest du die Bahamas in Betracht ziehen.«
»Ja, genau. Ich könnte in einer Hängematte wohnen.« Sie kicherten.
»Wie willst du dich auf die Suche machen?«, fragte Biddy. »Nach deiner Heimat?« Ihre Neugier war echt. Sie hatte noch nie selbst den Ort gewählt, an dem sie lebte.
»Wahrscheinlich werde ich mir erstmal Arbeit suchen. Aber – ich weiß nicht. Theoretisch könnte ich fast überall arbeiten. Man sollte meinen, es wäre toll, sich fast jeden Ort der Welt aussuchen zu können, aber bei mir führt die Freiheit meistens nur dazu, dass ich mich einsam fühle. Mich zieht nichts in bestimmte Länder oder Städte außer vage Vorlieben. Und manchmal frage ich mich, was es über mich aussagt, dass ich so frei umherziehen kann.« Sie verdrehte einmal kurz die Augen. »Ein typisches Luxusproblem der westlichen Welt.«
»Wieso?«
»Na ja, sagen wir so: Ach, ich Ärmste, ich bin so erschöpft und weiß gar nicht mehr, wer ich bin, von diesem ständigen Um-die-Welt-Jetten und der ewigen Haute Cuisine.«
»Hast du in Belgien nicht einen Freund? Was ist mit dem?«
»Ich glaube nicht, dass der was für ewig ist.« Dominique hob verschämt die Schultern und ließ sie ein paar Sekunden an den Ohren verweilen, um sie dann plötzlich wieder zu senken. »Das wird sich alles zeigen. Was meinst du, wo ich hingehen soll? Wohin würdest du gehen?«
Biddy war weniger von der Frage überrascht als von der Tatsache, dass sie darauf nicht einmal ansatzweise eine Antwort wusste. Ihr wollte kein einziger Ort zum Leben einfallen, an dem sie nicht schon gelebt hatte. Sie dachte: Connecticut. Waskeke. Maine. Connecticut. Das waren für Dominique keine Möglichkeiten. Sie schämte sich davor, wie ängstlich das wirkte, wie scheu und einfallslos. Doch sie konnte sich nicht vorstellen, auf einer tropischen Insel zu leben oder in den Alpen oder in Rom, Sydney oder Rio. Sie konnte sich nicht vorstellen, in New Jersey zu leben. »Ich glaube, du wirst es wissen, wenn du es findest«, sagte sie. »Ich glaube, du wirst den perfekten Ort finden. Oder zumindest einen, der deinen wichtigsten Bedürfnissen entspricht.«
Die Seitentür knallte, und Livia erschien in der Diele, auf jeder Hüfte eine braune Tüte randvoll mit Maiskolben. »Teddy ist zur Army gegangen«, verkündete sie.
»Teddy Fenn ?«, fragte Biddy.
Livia stellte die Tüten ab. »Teddy Fenn.«
Der vertraute Name klang Biddy ganz fremd, als Livia ihn so unverbunden aussprach, wie der lateinische Name einer seltenen Tierart, eines Sumpfbären vielleicht. »Woher weißt du das?«
»Wir haben Jack beim Einkaufen getroffen. Er hat gesagt, Teddy wäre einfach zu einer Rekrutierungsstelle, oder wiedas heißt, gegangen und hätte sich gemeldet. Er hört mit der Uni auf. Er will nicht mal Examen machen. Ich weiß nicht, warum Jack ihn nicht davon abhalten konnte. Was ist er bloß für ein Vater?« Biddy fand, Livia hörte sich an wie Winn, wie ihr eigener Vater, aber das durfte man ihr um Himmels willen nicht sagen. Sie hegten beide den gleichen verschrobenen Glauben an die Macht von Eltern über ihre Kinder. Eine Maistüte kippte um, und die schweren Kolben polterten zu Boden.
Weitere Kostenlose Bücher