Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
Livia verdrehte die Augen zum Himmel und warf verzweifelt die Arme in die Luft.
Biddy war froh, nicht mehr unter Beobachtung zu stehen. »Immer sachte«, sagte sie und stand auf, um auf ihre Tochter zuzugehen, obwohl sie wusste, dass ihr Trost nicht willkommen war. Da Livia ihre Niederlage nicht akzeptieren und sich nicht eingestehen konnte, dass Teddy wirklich verloren war, duldete sie kein Mitleid. Biddy wartete schon lange darauf, dass sie endlich über den Jungen hinwegkam. Als kleines Kind war Livia von ihrem Schnuller nicht zu trennen gewesen, bis sie eines Tages gegen ihren Willen zu einem Mittagsschlaf ins Bett gesteckt wurde und sich vor Wut das Ding aus dem Mund gerissen und von sich geschleudert hatte. Danach hatte sie ihn nie wieder genommen.
»Dad war mal wieder voll in Form«, sagte Livia, nachdem sie Biddy eine flüchtige Umarmung gestattet hatte und dann auf Abstand gegangen war. »Er wurde ganz nett und munter und hat versucht das Gespräch auf den Pequod zu lenken und sich mit Meg komisch angestellt, und dann, stell dir vor, hat er auf einmal gefragt: Was macht dein Sohn? Als ob er über jemand X-beliebigen reden würde, einfach irgendeinen Sohn. Und Jack sagt: Oh, komisch, dass du danach fragst. Er hat einen großen Beschluss gefasst. Er ist zur Armygegangen. Und Daddy sagt bloß: Na, so was, na, so was. Einfach bloß na, so was, na, so was.«
»Hat Jack gesagt, warum?«
Livia bückte sich, um den Mais aufzusammeln. »Nein. Vielleicht weiß er es gar nicht.«
»Wo kommt er hin? Kommt er ins ... ins Trainingslager?« Biddy fragte tastend, sie wusste den Ausdruck nicht.
»Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, wohin oder wann und wie. Ich weiß gar nichts. Wieso sollte ich auch? Ist er einfach eines Morgens aufgewacht und hat beschlossen, ach, hier läuft alles nicht so gut, bitte einen einfachen Flug nach Irak?«
»Er kriegt auf jeden Fall auch einen Rückflug«, sagte Dominique. Auch sie umarmte Livia, und diesmal war Livia dankbar. Sie umschlang Dominiques starken Rücken mit beiden Armen und versteckte das Gesicht an ihrer Schulter. Biddy bückte sich nach einer Maisfaser auf den Fliesen und hob sie auf.
»Aber wenn er nun als Frachtgut zurückkommt?« Livias Stimme klang gedämpft. »Warum kann er nicht einfach fertig studieren?«
»Livia«, sagte Biddy. »Ich möchte nicht, dass du glaubst, das hat irgendetwas mit dir zu tun.« Sie griff aus sicherem Abstand in die Umarmung und drückte ihrer Tochter zärtlich den Oberarm.
»Das hat Daddy auch gesagt.« Livia ließ Dominique los. »Aber wie kann es denn sein, dass es nichts mit mir zu tun hat?«
Ganz einfach, hätte Biddy gern gesagt. Weil die Trennung Teddy nicht so mitgenommen hat wie dich. Weil du nicht mehr zu Teddys Leben gehörst. Doch sie sah, dass Livia TeddysBeschluss als ein Zeichen wertete, als Hinweis, dass er unberechenbar und haltlos wurde, möglicherweise am Rande eines Zusammenbruchs stand, der ihn nur wieder zu ihr zurückführen konnte, reuig und geläutert. Seine Flucht in die Army war sein letztes schwaches Aufbäumen, sein letzter Freiheitsrausch, bevor er das Licht sah. Die Army würde ihn nie so lieben wie Livia. »Ich möchte nicht, dass du dir die Hoffnung machst, es habe tatsächlich etwas mit dir zu tun«, sagte Biddy.
Livia begann durch die Nase einzuatmen und durch den Mund auszuatmen und in die Ferne zu schauen. Das hatte ihr die Therapeutin an der Uni, Dr. Z, beigebracht: Wenn du das Gefühl hast, du bekommst einen Wutanfall, dann atme durch die Nase ein und durch den Mund aus und zähle bis fünf oder zehn, je nach Schwere der Situation. Winn sah es gar nicht gern, dass Livia zur Therapie ging. Er fand, sie sollte lernen, selbst mit der Geschichte fertigzuwerden und das Gesicht zu wahren.
»Und dann«, sagte Livia nach fünf Sekunden, »hat Dad, nachdem wir uns von Jack verabschiedet hatten, beschlossen, wir müssten uns ihr neues Haus ansehen.«
»Das Haus der Fenns?«, fragte Biddy. »Aber warum denn?«
»Ich glaube, er wollte davor sitzen und schimpfen und über den Pequod nachdenken. Nicht darüber, dass Teddy mir ein Kind gemacht und mich sitzenlassen hat, nein, das nicht. Sondern darüber, wie ungerecht es ist – was für eine Riesengemeinheit es ist –, dass es einen Verein auf der Welt gibt, der ihn nicht will.«
»Vielleicht fällt es ihm leichter, über den Pequod nachzudenken«, sagte Dominique.
Biddy warf ihr einen verärgerten Blick zu. Die leichthin geäußerte Vermutung
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