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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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gegangen, lieber für sich behalten hätte.
    »Wahrscheinlich hatte einer der Burschen im Ophidian was gegen mich. Ich habe mal gehört, wie einer von ihnen über meinen Vater schimpfte und Geschichten weitererzählte, die er höchstwahrscheinlich von seinem Vater hatte. Aber ich wäre gern Mitglied geworden. Immerhin war ich beim Abschlussessen dabei. Damals war Willy Abernathy Präsident, obwohl sie dafür im Ophidian ein komisches Wort haben, irgendwas mit Oro, ich kann mich nicht mehr erinnern. Das war ein großartiger Kerl. Hatte immer die schönsten Mädchen, und sie liebten ihn auch noch, nachdem er ihre Herzen gebrochen hatte, weil er es mit so perfekten Manieren und auf so nette Art machte. Er hatte einen Strohhut, den ich bewunderte, mit schmalem Rand und Hutband. Ich habe mir genauso einen gekauft. Aber er stand mir nicht richtig, und ich habe ihn im Scherz in den Fluss geworfen.«
    In den ersten beiden Studienjahren war Winn alles, was er seiner Erziehung gemäß als Harvardstudent sein zu müssen meinte. Er gehörte allerlei Clubs an, spielte in albernen Theaterstücken mit, sang als Tenor in einem Männerensemble. Seinen Schreibtisch zierte ein Stillleben aus halbvergessenen Objets eines Männerlebens: ein Zigarrenschneider, ein Flachmann im Ledermantel, ein Berg Münzen, eine große Gipsente, die er bei einem Streich aus einem Garten gestohlen hatte. Im Spiegel sah er einen jungen Mann, der selbstbewusstseinen Tennispullover trug und von der Salzbrise der Jugend und Hoffnung umweht war.
    Seine goldene Armbanduhr erwies sich nicht als das Wahre. Die Jungen, die ihm vornehmer schienen als er, trugen Uhren mit schlichten Leder- oder Ripsbandarmbändern. Je mehr Winn diese Jungen beobachtete, desto mehr Anzeichen entdeckte er, die gewisse Verdachtsmomente bestätigten, wie er sie bereits in Deerfield gehegt hatte: Sein Vater verhielt sich – nicht immer, aber doch dann und wann – wie ein Neureicher, dessen Protzigkeit weit weniger erstrebenswert war als die verstaubten Schränke des alten Geldes, zu dem er, Winn, sich hingezogen fühlte und in dessen Reich er sich schließlich einen, wenn auch wackeligen, Platz eroberte. Im Laufe des Studiums perfektionierte er eine wohlberechnete Schäbigkeit und trug sie stolz zur Schau, mit abgestoßenen Spitzen und abgelaufenen Sohlen an den Slippers und einem kleinen Riss im Revers seines liebsten Sportsakkos, den er selbst erzeugte und anschließend flickte. Er spielte gern Squash und ab und zu auch Touch Football, doch sein kurzes Gastspiel in der Rudermannschaft endete, als ein älterer Kommilitone, der im Ophidian Mitglied war, die Bemerkung fallen ließ, dass man einen Sonnenaufgang nur draußen auf dem Gehweg vor dem Zimmer eines Mädchens oder am ersten Tag der Jagdsaison erleben sollte. Er kaufte sich in Boston eine neue Uhr mit einem schlichten braunen Armband und holte die goldene nur hervor, wenn er sonntags zum Essen nach Hause fuhr. Im Ophidian konnten ein paar Jungen es sich leisten, auffallende Kleidung zu tragen oder ihren Sport oder das Studium mit ungeniertem Eifer zu betreiben, doch Winn, der weder zu Exzentrizität noch zu Ehrgeiz neigte, fühlte sich nie versucht, das Risiko einzugehen, von dem imOphidian Üblichen abzuweichen, einem unausgesprochenen Codex, nach dem am meisten galt, wer sich durch Ironie, Sorglosigkeit und Betrunkenen-Streiche hervortat.
    Mit der Zeit vergab er seinem Vater die gelegentlichen Faux-pas, weil ihm klar wurde, dass es ja wirklich erst Tiptons Vater gewesen war, der die Familie reich gemacht und das weiße Natursteinhaus erworben hatte. Tipton war also wirklich neureich, und seine Entgleisungen mochten unglücklich sein, aber sie waren verständlich. Winns Mutter stammte aus der alteingesessenen Gesellschaft, aber sie war während seiner Kindheit kaum zu Hause gewesen und erst richtig dahin zurückgekehrt, als er vierzehn war und nach Deerfield aufs Internat geschickt wurde.
    Der Ophidian Club war ein Backsteinhaus in einer Backsteinstraße, hoch und schmal mit schwarzen Fensterläden und einer Schlange über der Tür, die sich in den Schwanz biss. Obwohl Tipton keine Aufnahme gefunden hatte – er war Mitglied des etwas weniger angesehenen Sobek Club for Gentleman –, hatte der Ophidian Winn mit offenen Armen empfangen, und er war nach seiner Initiation (einem Abend, der in etwa je zur Hälfte in Saufgelage und gut gelaunte Demütigung aufgeteilt war) einen Tag nach Hause gefahren, um sich auszuruhen und zu

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