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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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setzen.« Er drehte sich auf der Stelle im Halbkreis und zog sie mit, so dasssie auf der Lehne des Gartensessels landete, in den er sich fallen ließ. Zu zweit schauten sie auf die Wiese hinaus, auf die bunten laufenden Gestalten und den hellen, hin und her sausenden Federball.
    Es war Zeit, die Hummer zu kochen. Winn holte die ersten sechs unglücklichen Exemplare aus ihrem Karton auf dem Küchenboden und warf immer zwei zugleich rücklings in den Topf mit brodelndem Wasser. Die verbliebenen Hummer krochen langsam übereinander, bläulich, fremdartig, die zusammengebundenen Zangen traurig und kraftlos vor sich her schiebend. Man hatte sie auf eine Unterlage aus grünem und braunem Seetang gepackt, und manche trugen Reste davon wie nassschimmernde Perücken auf dem Panzer. Winn wusste nicht, wozu der Tang gut war – als Livia klein war, hatte er ihr aus Faulheit erklärt, die Hummer würden ihn fressen, aber sie hatte in einem Buch nachgesehen und ihn eines Besseren belehrt. Vermutlich sollte der Karton für die Hummer gemütlich wirken, nicht der Hummer wegen, sondern damit die Leute es besser mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten, wie ihr Abendessen die letzten Stunden verbrachte. Er hatte bereits eine rotweißkarierte Tischdecke auf den Küchentisch gelegt und dort den grünen Salat, den Mais- und Tomatensalat, geschnittenes Baguette, Plastikteller und Besteck bereitgestellt. Sie würden ihr Mahl auf der Terrasse oder auf dem Rasen einnehmen, das war zwar nicht ideal für etwas so Umständliches wie Hummer, aber besser als die unvermeidliche Unordnung, die sonst drinnen entstünde. Biddy kam mit einer leeren Weinflasche herein und schaute in den Topf. »Sie wackeln mit den Schwänzen«, sagte sie. »Das kann ich gar nicht mit ansehen.«
    »Ihnen passt das nicht, was wir mit ihnen machen«, sagte Winn. »Lass den Deckel drauf, dann ist es schneller vorbei.«
    »Sie tun mir leid.«
    »Es sind bloß große Insekten.«
    »Sie tun mir trotzdem leid.«
    »Sie besitzen nur ein ganz primitives Nervensystem, Biddy. Sie fühlen nicht so wie wir. Sie reagieren bloß. Sie haben keine Emotionen.«
    Von Dampfwolken umwogt schaute Biddy noch einen Augenblick in den Topf. Dann schloss sie wieder vorsichtig den Deckel. Sie drehte sich mit einem strahlenden Lächeln zu ihm um und hielt ihm die Weinflasche hin. »Haben wir mehr davon? Unsere demnächst angeheiratete Verwandtschaft findet ihn hervorragend.«
    Er holte eine neue Flasche aus dem Kühlschrank und entkorkte sie für Biddy. Als er ihr nachblickte, wie sie mit steifen Schultern nach draußen ging, sah er, dass Piper und Agatha wie Cheerleader herumsprangen und die Männer und Dominique anfeuerten, während sie auf verschlungenen Wegen über das Gras liefen und einen Federball hin- und herschossen. Agatha sprang mit gebeugten Knien in die Luft, dass ihr weißes Kleid flog und ihre schmutzigen Fußsohlen ihm entgegenblitzten. Eine sündige Sekunde lang stürzte er durch eine Falltür in ein Delirium: Agatha auf allen vieren, seine Finger in eine goldene Handvoll ihrer Haare gekrallt. Die Vision dauerte eine Zehntelsekunde, sie traf ihn wie der Luftzug von einem vorbeisausenden Zug. Dann sah er wieder die Terrasse, die Gäste, seine Frau, den Rasen und die umherlaufenden Spieler. Er unterdrückte den Gedanken, und er verging.
    Winn liebte Biddy. Sie war wirklich zutiefst liebenswert,und seine Frau zu lieben gehörte sich für einen Ehemann. Sie entsprach so sehr der Art von Ehefrau, die genau für ihn gedacht war, dass er sie allein schon aus Dankbarkeit dafür liebte, wie gut sie zu ihm passte. Es hatte Zeiten gegeben, ganz gelegentlich, in denen ihre kühle, ruhige, höfliche, typische Biddyhaftigkeit zu wanken schien (zum Beispiel, als sie in jener Wanne mit französischem Wasser darum gerungen hatte, Livia mit einer Woge von Blut aus ihrem Leib zu manövrieren), und auch seine Liebe hatte bisweilen Schwächen erlebt. Doch er, der mit grimmigem Ernst und buchhalterischer Genauigkeit jedes Element seiner Liebe in die entsprechende Spalte seines geheimen Rechnungsbuches einzutragen pflegte, wusste ganz genau, dass seine Gefühle für Biddy anderer Natur waren als bloße Dankbarkeit. Zwar war er sich nicht sicher, ob er Biddy – oder überhaupt irgendwen – je wirklich geliebt hatte, aber Biddy war die Frau, für die er am meisten empfand, und das genügte ihm, um seine Ehe als glücklich zu betrachten. Er würde sich nicht seinen Fantasien hingeben, schon gar nicht,

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