Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
die Nase ein, durch den Mund aus und zählte bei jedem Atemzug bis fünf.
»Lass das«, sagte er und richtete den Zeigefinger auf sie. »Hör auf damit.«
»Womit?«
»Das weißt du ganz genau. Mit diesem Atemquatsch. Diesem Psychoquatsch.«
Sie schob seinen Finger weg. »Wenn dir so viel daran liegt, dass ich Teddy vergesse, wäre es besser, du würdest mich da draußen in Ruhe lassen.«
»Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«
Vom Herd ertönte das Zischen und Brodeln des Hummertopfes, der überkochte. »Kümmer dich lieber darum«, sagte sie. Sie wusste nicht, ob er ihr nachblickte, aber sie schritt über die Terrasse, als wäre sie eine Bühne, und ließ sich mit elegantem Schwung wieder auf Sterlings Armlehne nieder.
Oatsie trank ihren Wodka pur, weil ihr Maudes Version des Bloody Mary nicht schmeckte und die Van Meters keinen Muschelsaft hatten, mit dem sie das Ganze hätte trinkbar machen können. Ihr neuester Lieblingsdrink war der Bullshot – Wodka mit kalter Rinderbouillon. Ihre Freundin Doris hatte sie auf den Geschmack gebracht, und sie trank dieMixtur als eine Art Stärkungsmittel, obwohl ihre Enkel sie deswegen aufzogen. Kalte Rinder-Wodka-Suppe nannten sie es. Sie beobachtete Sterling, wie er mit der Van-Meter-Tochter auf seiner Armlehne dasaß. Er sah aus, als könnte er auch mal etwas Kräftigendes in seinem Drink vertragen. Er war dick und teigig geworden, aber das schien das Mädchen nicht zu stören. Eine Hochzeit war immer ein Aphrodisiakum, voll flüchtiger, von abgefärbter Hoffnung getriebener Paarungen. Liebe lag in der Luft, schwach und knisternd wie statische Aufladung. Sollten sie tun, was sie wollten. Sie hatte Harold bei einer Hochzeit kennengelernt, und ihre Ehe war durchaus erträglich gewesen. Sie nippte an ihrem Glas und sah zu, wie die Jungen und das ägyptische Mädchen auf dem Rasen umherliefen. Francis schlug lustlos nach dem Federball und traf daneben.
Auf Waskeke fühlte Oatsie sich unwohl. Ihr missfiel die Erwartung, dass sie dauernd das Wasser, den Himmel und so weiter bestaunen müsse. Die Sonne war zwischen den Bäumen verschwunden, und die Luft, die sie hinterließ, war süß und erfüllt von Insektengesumme, aber Oatsie konnte an einem Sonnenuntergang nichts Erbauliches finden. Schönheit ging ihr auf die Nerven. Die zauberhafte Abendstimmung verwandelte sich in ein Gefühl von Sehnsucht – aber wonach? Nach mehr. Nach mehr oder nach irgendeinem Ende, einem Höhepunkt, aber die Lieblichkeit zog sich einfach immer weiter hin, wie eine Geigensaite, die bis zur Unerträglichkeit gespannt war, aber nicht reißen wollte. Keine Erlösung, nur ein Verblassen, Licht, das sich davonstahl.
Draußen auf dem Rasen rief Francis Greyson eine Beleidigung zu, und Oatsie erwog kurz, ihn zurechtzuweisen, konnte sich aber nicht dazu aufraffen. Die Van-Meter-Tochterwirkte ganz zufrieden, wie sie da neben Sterling saß, obwohl er anscheinend mal wieder in Schweigen versunken war. Plötzlich erklang das Dröhnen von Propellern. Eins von diesen lauten kleinen Flugzeugen zog über sie hinweg. Dahinter erhob sich der nahezu volle Mond passend zum hellen Violett des Himmels. Ein Vogelschwarm sauste vorbei. Oatsie konnte spüren, wie die Welt sich von ihr wegdrehte, die Weite des Himmels, die unaufhaltsame Entropie. War Sehnsucht an sich nicht auch ein Genuss? Sie war einmal auf einer Party gewesen, ganz ähnlich wie diese, früher, als sie verheiratet und gerade mit ihrem ersten Kind schwanger gewesen war, da hatte auf einmal Freddy Maughn, den sie seit ihrer Kindheit kannte, ihre Hand genommen und sie auf die Innenfläche geküsst, als sie auf dem Weg zur Toilette im Flur an ihm vorbeigegangen war. Sie erinnerte sich an Freddys trockene Lippen und seine Zungenspitze auf ihrer Handfläche. Für den Augenblick dieses Kusses waren sie der Dreh- und Angelpunkt des Universums gewesen. Er war sternhagelvoll gewesen und hatte es vermutlich nur als Scherz gemeint, aber noch Monate danach, bis ihre Schwangerschaft für Harold zum Hindernis wurde, hatte sie ihre Hand auf seinen Mund gepresst, wenn sie sich liebten, und ihn gebeten, sie zu küssen. Seine Lippen erzielten nie dieselbe Wirkung wie Freddys, aber sie hatte es immer wieder versucht, in einer gereizten verzweifelten Suche nach Befriedigung. Die Enttäuschung weckte in ihr einen so mächtigen Drang, erneut von Freddy Maughn geküsst zu werden, dass sie sich in überquellendem Verlangen an Harold presste, der dann hinterher
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