Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
wie Oatsie sein, gebieterisch, brüsk und von logischem Denken vollkommen befreit.
»Diese Janet Reno«, fuhr Oatsie fort. »Ihr Haar war eine Katastrophe.«
»Sterling hat ein Jahr Jura studiert«, sagte Dicky und sah sich um. »Sterling!« Greysons Bruder war bis an den Rand der Wiese gelaufen, ganz hinunter zu den Bäumen. Als er die Stimme seines Vaters hörte, drehte er sich um. »Komm mal her!«, rief Dicky.
Gehorsam, in der Hand ein Glas randvoll mit bernsteinfarbener Flüssigkeit, kam Sterling über den Rasen zu ihnen. »Hast du Livia schon kennengelernt?«, fragte Dicky und breitete dazu die Arme aus, als hätten sie gerade ein Friedensabkommen unterzeichnet.
»Hallo«, sagte Sterling und wechselte das Glas nach links, um ihr die Hand zu schütteln.
Livia erschrak darüber, wie unverhohlen er sie von oben bis unten musterte. Dicky verzog keine Miene. »Livia will vielleicht Jura studieren«, sagte er. »Ich dachte, du hast bestimmt ein paar Ratschläge für sie.«
»Wo hast du studiert?«, fragte Livia.
»UCLA.«
»Ach?«
»Nicht elitär genug?«
»Das nicht, aber ich hatte automatisch geglaubt, du hättest irgendwo hier im Osten studiert.«
»Francis«, rief Oatsie. »Lass dein Glas nicht da stehen. Sonst geht es noch kaputt.« Sie stapfte davon, und auch Dickysenior trollte sich dahin, wo Greyson, Charlie, Dicky junior und Dominique ein Federballspiel in Gang gebracht hatten. Livia und Sterling blieben allein zurück. Bei den Duffs, deren Familienlegenden Daphne geradezu missionarisch weitergab, besaß Sterling den Ruf, ein unglaublicher Frauenheld zu sein, und Livia hatte nicht damit gerechnet, dass er so verschlossen und verlebt wirken würde.
»Ich musste mal aus dem Dorf weg«, sagte er.
Livia verstand ihn nicht gleich. »Welchem Dorf?«
»Na, diesem hier. Von all diesen Leuten, die meine Eltern kennen. Aus dieser kleinen Welt, in der alle ständig über alle reden. Nicht, dass Hongkong viel besser ist. Da hocken die ganzen Expats aufeinander.«
»Ganz schön abgedreht.«
Er starrte sie an und grinste dann leicht.
Sie wartete darauf, dass er etwas sagte, aber er schwieg. »Gefällt es dir?«, fragte sie.
»Bei den Expats?«
»In Hongkong?«
»Mir gefällt es, wie die Chinesen ihre Geschäfte machen.«
»Nämlich?«
»Im Vollrausch.«
Sie lachte. Dann wartete sie erneut darauf, dass er etwas sagte, und wieder starrte er sie nur stumm an. Seine Reaktionslosigkeit machte sie nervös. »Wo warst du auf dem College?«, fragte sie.
Er nahm den fast leeren Bloody-Mary-Krug vom Tisch und schenkte ihr den traurigen Rest ein. »In Bowdoin. Ich bin der einzige von uns, der nicht in Princeton studiert hat, obwohl ich finde, dass Francis nicht zählt, weil wir seinen Studienplatz erkaufen mussten.«
Sie konnte dem Köder nicht widerstehen. »Wie meinst du das?«
»Der süße kleine Franny konnte es nicht lassen, auf fremde Klausuren zu schielen. Die Lehrer haben weggeguckt. Den Kids ist es aufgefallen. Irgendwann hatte es jemand satt und hat ihn verpfiffen. Damit er nicht flog, haben Mom und Dad geblecht. In Princeton wurde er wieder erwischt. Man wollte ihn von der Uni werfen, und Princeton hat einen Neubau für die Ostasienbibliothek bekommen.«
»Das wusste ich alles nicht.« Livia sah sich Francis, der auf dem Rasen mit den anderen spielte, aus der Ferne genauer an. Er holte zu langsam nach dem Federball aus und schlug daneben.
»Es stand nicht im Weihnachtsbrief.«
Livia hatte die Duffs immer gemocht. Es war einfach, mit ihnen zusammen zu sein. Dick und Maude lebten in einer vertrauten Welt: Ivy League, Junior League, Gesellschaftsnachrichten, Emily Post, Lily Pulitzer, Daughters of the American Revolution, Windsorknoten, Kummerbund, Petitpointbezüge für Kleenexschachteln, L. L. Bean, Memorial Day, Labor Day, Wasservögel auf dem Geschirr und an den Wänden. Sie waren altmodisch, auf die eigene Welt fixiert, von makellosem Ruf. Greyson war ein modernisierter Abklatsch seiner Eltern, noch immer ein aufrechter Staatsbürger, aber in gelockerter Form, aufgeklärt, ein Mann des digitalen Zeitalters. Dicky junior schien, obwohl er erst dreißig war, eher zur älteren Generation zu gehören. Er strahlte die Freudlosigkeit eines Mannes aus, der schon zu viele Kriege, soziale Unruhen und Finanzkrisen erlebt hatte, um Geduld für die Tollheiten der Jugend von heute aufzubringen. Greyson hatte erzählt, dass er als Teenager ein erzkonservativer Republikaner gewesenwar und zwischen zwanzig
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