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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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ich habe eine Menge Erfahrung mit Fehlern.« Sie schnaubte durch die Nase wie in leiser Selbstironie.
    »Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, sagte er.
    Sie klopfte ihm leicht mit dem Handrücken gegen die Wange. »Von dem Mädchen, Winn. Lass die Finger von dem Mädchen.«
    Jahrzehnte zuvor, als sie im Familienanwesen der Hazzards betrunken Verstecken gespielt hatten, hatte Winn in der Dunkelheit einer Kammer Celeste für Biddy gehalten und sie geküsst. Erst als sie sich von ihm löste und flüsterte: »Also, ich muss schon sagen!«, hatte er seinen Irrtum bemerkt. Obwohl er sich überschwänglich entschuldigt hatte, war er sich nie sicher gewesen, ob sie ihm glaubte, dass es ein Versehen gewesen war, und er hatte es Biddy nie erzählt. Er fragte sich, ob es eine Art Fügung gab, wer im Dunkeln mit wem zusammentraf. Nach dem Kuss mit Celeste hatte es ihn sehr beunruhigt, dass jemand, der nicht seine Frau war und ihr weder äußerlich noch im Wesen ähnelte, ihn im Dunkeln so sehr täuschen konnte, bis hin zu Biddys Duft und Ausstrahlung und dem Geräusch ihres Atems.
    »Winn!«, rief Biddy von unten. »Komm runter! Die Duffs wollen gehen!«
    Um Mitternacht war die Party zu Asche heruntergebrannt. Die älteren Duffs waren unter einem Wirbel von Küsschen und wirren Versprechungen für den nächsten Tag abgefahren, und Biddy war wortlos nach oben ins Bett gegangen. Winn watete durch das Chaos in der Küche und füllte einen Müllbeutel mit einem müffelnden Gemisch aus Hummerpanzern, abgeernteten Maiskolben, glitschigen Tomatenresten, Salatfetzen und Käseklecksen. Dann nahm er einen weiteren Beutel und füllte ihn mit leeren Bierdosen, Bierflaschen, Weinflaschen und Ginflaschen. Er trug Wolkenkratzeraus schmutzigen Töpfen und Pfannen und Tellern ab, räumte so viel wie möglich davon in den Geschirrspüler und stapelte den Rest im Spülbecken. Von draußen, wo die jungen Leute noch zusammensaßen, klang Gemurmel und Gelächter herein. Er bewunderte ihr Durchhaltevermögen, aber er fragte sich, wozu das gut sein sollte. Es konnte nicht viel dabei herauskommen, die Party in die Länge zu ziehen. Ein schlimmerer Kater vielleicht. Die Gelegenheit, etwas Unbedachtes zu sagen. Und dann war da natürlich die schillernde, lockende Fata Morgana des Sex, immer ein klein wenig außer Reichweite; nur manchmal, wenn man lange genug wartete, wurde sie unerwartet greifbare Realität.
    Früher hatte er diese Möglichkeiten genossen. Jetzt spürte er, dass ein ganz ähnlicher trunkener Drang, etwas zu tun , seine verschwommenen Impulse in Aktivität umzusetzen, ihn zu dieser nahezu zwanghaften Putzorgie antrieb. Mit seiner Heirat hatte er feuchtfröhlicher, nächtlicher Hemmungslosigkeit den Rücken gekehrt, hatte gelernt, dem Geklimper eines Perlenvorhangs, den verlockenden, unterirdischen Explosionen weiblichen Lachens, dem Klang der Saxophone und Champagnerkorken zu widerstehen. Er spülte die Tomatensaftreste aus Maudes Thermosflasche. In einem Löffel, den er auf Zeichen der Benutzung prüfte, erblickte er den auf dem Kopf stehenden Ballon seines Gesichts. Er wischte über die Arbeitsflächen und den Spritzschutz an der Wand, dann sammelte er die Tischdecke und die schmutzigen Geschirrtücher ein und machte sich auf den Weg zur Waschmaschine.
    Celeste war auf einem Sofa im Wohnzimmer eingeschlafen, ihre silbernen Sandaletten und eine Tüte Salzbrezeln neben sich auf dem Boden. Die Zeiger der Schiffsuhr aufdem Bücherregal standen immer noch auf halb fünf. Die Lampe schien Celeste direkt ins Gesicht, aber seine Schwägerin gehörte zu der Sorte Leute, die überall und unter allen Bedingungen schlafen konnten, ohne sich von irgendetwas gestört zu fühlen. Sie lag auf der Seite, den Kopf auf den gefalteten Händen, und sie hätte ein Bild des Friedens abgegeben, wären da nicht die unregelmäßigen, gurgelnden Atemzüge gewesen, die aus ihrem offenen Mund drangen. Mit der schmutzigen Wäsche unter dem Arm schlich Winn näher. Das unbarmherzige Lampenlicht entblößte die faltige, fleckige Topographie ihres Gesichts, die Überreste ihres Make-ups, die Sprödigkeit ihrer blondierten Haare und das blassblaue Netz der Adern an ihren Schläfen. Ihre Zehennägel waren knallpink lackiert. Vorsichtig griff er nach dem Schalter und knipste das Licht aus.
    Den ganzen Tag über war ihm das Haus wie ein Bienenstock vorgekommen, ein einziges geschäftiges Hin und Her. In jedem Badezimmer war eine Frau; alles, was er tat, wurde beobachtet;

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