Leichte Turbulenzen - Roman
davon träumte, in den Hamptons alt zu werden, mit Blick auf die diesige See? Darüber allerdings würde immer die Sonne diffus zu erahnen sein. Das würde er ihr bei Gelegenheit sagen, sollte sie es nicht schon wissen. In Gedanken sagte er es ihr sofort, quasi als Trockenübung, um den Satz im entscheidenden Augenblick gut draufzuhaben. »Über den Hamptons scheint eigentlich immer die Sonne – hinter all dem Nebel.« Eventuell war sie bereits geschieden. Das konnte doch sein, ein ganzer Haufen von Leuten aus seiner Highschoolzeit lebte schon wieder in Trennung, die meisten von ihnen hatten sich auf würdelose Weise gegenseitig betrogen. Er hatte noch nie eine Frau betrogen, er hätte gar nicht gewusst, wozu. Und auch nicht, wie. Von einem alten Collegefreund, mit dem er über Facebook eine Zeit lang in regem Austausch gestanden hatte, wusste er, dass man die Schuldgefühle nie wieder loswurde. »Desmond, ich kann dich nur warnen, so eine Geschichte anzufangen. Ich hab meine Ehe entweiht. Vermutlich bring ich mich deswegen noch mal um. Demnächst.«
Nach diesem Chat hatte Desmond den Kontakt abgebrochen und augenblicklich seinen Facebook-Account gelöscht. Weitere Beichten wollte er nicht abnehmen. Vielleicht hatte sie sogar Kinder? Seine Eltern würden besorgt sein, würde er ihnen eine geschiedene Frau mit Kindern präsentieren. »Desmond! Bist du sicher, dass diese Frau dich nicht einfach nur ausnutzt? Außerdem musst du dich darauf einstellen, dass sie ihre Kinder immer mehr lieben wird als dich. Für dich wird keine Liebe übrig bleiben.«
Als gäbe es ein vorgegebenes Maß an Liebe. Die Generation seiner Eltern war wirklich vollkommen verklebt mit seltsamen Vorstellungen und ungeprüften Konzepten, mit denen sie ihre Kinder plagten und in das Schicksal handlungsunfähiger, an das Falsche glaubender Erwachsener trieben. Kein Wunder, dass sie sich gegenseitig betrogen, vermutlich, weil sie alle meinten, grundsätzlich zu wenig Liebe abbekommen zu haben für das Maß an Liebe, das sie vermeintlich täglich zur Verfügung stellten. Bei diesem jämmerlichen Kuhhandel würde er nicht mitmischen. Überhaupt hatte Desmond noch nie das Gefühl gehabt, zu wenig Liebe zu bekommen – was definitiv nicht an seinen Eltern lag. Vielleicht war er von Natur aus davon erfüllt. Es war ein guter Zustand, kein Bedürfnis nach Liebe zu haben. Im Grunde genommen konnte er sich außerordentlich glücklich schätzen. Wirklich! Ein Mensch, dem es nie an Liebe mangelte, hatte gute Karten. Nie würde er sich welche erzwingen müssen. Wow! So direkt war ihm seine exquisite Besonderheit noch nie aufgefallen. Eigentlich erlebte er gerade eine Art innere Erleuchtung. Kurz überlegte er, ob er damit zur Jimmy-Kimmel-Late-Night-Show sollte. Als einer der wenigen, wenn nicht sogar als »der« einzige Mensch auf der Welt – mal abgesehen von Jesus –, der über mehr als genug Liebe verfügte. Das machte ihn erstaunlich unabhängig. Er sollte bei der Show anrufen. Denn wenn einer ein originelles und tiefgründiges Interview zum Thema würde führen können, war das der geniale Jimmy Kimmel. Desmond bekam einen Baileys auf Eis, den er einen kurzen Augenblick auf dem heruntergeklappten Tischchen abstellte und dann in einem Zug leerte. Die Frau neben ihm trank Apfelsaft. Das war vernünftig. Trotz akuter Flugangst.
Erstaunlich.
Ivy nippte an ihrem durchsichtigen Plastikbecher. Wenn dieser Mann seine Noten hervorholte, holte sie eben das klobige, marokkanische Kochbuch heraus. Gab es eigentlich eine plausible Erklärung dafür, warum sie ein marokkanisches Kochbuch geschenkt bekommen hatte? Sie war mit Abstand die unbegabteste Köchin auf dieser Welt. Nie im Leben würde sie für sich etwas Marokkanisches zubereiten, überhaupt müsste sie sich dafür einen Grundstock an exotischen Gewürzen zulegen, die sie nie wieder verwenden würde. Mit ihrer besten Freundin Alice ging sie zum Essen ins Sun in Splendour, wo sich Alice unverzüglich betrank, um sich vom Drama ihrer On-off-Beziehung mit Dave, dem ewigen Philosophiestudenten, zu erholen. Was man in Marokko kochte, interessierte Ivy überhaupt nicht. Sie hatte jetzt schon eine Wut auf das Buch mit dem Hammelfleischeintopf auf dem Cover und irgendwie auch auf ihre Schwester. Die ganze Zeit war Nathalie scharf drauf, die Familienbande zu stärken, ständig telefonierte sie Ivy hinterher, um zu hören, wie es ihr ging, was sie machte, was sie dachte, was sie tat. Wenn sie derart interessiert an
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