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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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warum ich mich von dir trenne. Weil du nicht mal imstande bist zu weinen.« Dabei hatte Ivy sich doch von ihm getrennt, da er nicht imstande gewesen war, treu zu sein. Woraufhin er erwidert hatte: »Ja, weil du gefühlskalt bist.«
    Wenn man sich erst einmal eingestand, dass man Grund hatte zu weinen, weil man sich tief in seinem Innersten, egal, wie heftig man sich dagegen wehrte, jemanden wünschte, der am Abend nach Hause kam und fragte: »Wie geht es dir, mein Schatz? Wie war dein Tag?« – dann war man verloren! Irgendwann musste dieses Warten, dieses Hoffen, dass endlich jemand kam, der einen rettete, zu Ende sein. Nur wann? Ivy hätte zu gerne gewusst, wann der Tag ihrer Erlösung eintreffen würde. Was hielt ihren Vater nach dem Verlust seiner Liebe noch am Laufen? Würde sich Ivy, genau wie er, mit einem drögen Stammbaum-Computerprogramm trösten müssen, das er sich auf ihren alten Rechner geladen hatte? Früher hatte sie mit dem Nachbarsjungen Sascha darauf Doom – die Verdammnis gespielt und sie hatten als Space Marines unter Einsatz von Kettensägen, Pistolen, Schrotflinten, Gatling-Gewehren, Plasmagewehren und Raketenwerfern Dämonen abgeschlachtet, die die Forschungseinrichtung der Union Aerospace Corporate ( UAC ) besetzt und sich in Zombies verwandelt hatten.
    Desmond blickte Ivy abwartend an, sollte er noch etwas zur Flugsicherheit sagen? Oder diese eigenwillige Frau doch besser ablenken? Christy, seine letzte Freundin, hatte nur jemanden gewollt, den sie begleiten konnte. Das hatte eine Beziehungen ohne Witz und doppelten Boden ergeben. Diese hier strahlte, obwohl sie nach außen hin etwas gestresst wirkte, eine gewisse Kraft und Neugier aus, die er nie zuvor bei einer anderen Frau wahrgenommen hatte. So, als sei sie grundsätzlich bereit, sich voll ins Leben zu stürzen. »Und an wem formen Sie gerade?«
    Ivy lächelte. Dieser Mann war nicht so blöd. Er machte nicht alles noch schlimmer, ganz im Gegenteil. Er versuchte, sie zu zerstreuen.
    »Sollte ich den Flug überleben – wovon ich nicht ausgehe –, fange ich morgen mit Vincent van Gogh an.«
    »Ah, darum das Buch? Darf ich mal?«
    Es wackelte.
    »Von mir aus.« Ivy reichte Desmond den Band über den freien Sitz hinweg und hielt ihn einen Moment fest. Es ruckelte. Trotzdem fühlte sie sich einen kurzen Augenblick sicher und beschützt. Als sie das Buch schließlich losgelassen hatte, schlug Desmond es ungerührt auf. So, als würde sich nur Ivys Sitzplatz durch Turbulenzen bewegen. Er blätterte die Seiten um.
    »In der Highschool hab ich versucht, seine Bilder so perfekt wie möglich abzumalen, um sie auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen und mein Taschengeld aufzubessern.«
    »Hat’s geklappt?«
    Grinsend nickte Desmond vor sich hin. »Wenn meine Eltern an der Uni ihre Seminare gaben, habe ich mich nackt in unseren Wintergarten in Greensboro, das ist in North Carolina, gesetzt und mich komplett mit Ölfarbe beschmiert. Ich dachte, das gehört zum Künstlerdasein dazu. Den ganzen Körper mit Farbe zu beschmieren. Ich sah aus wie ein Kunstwerk von …«
    »Jackson Pollock.«
    »Ja! Richtig. Wie ein Gemälde von Pollock. Kennen Sie ihn? Ihn und Jasper Johns verehre ich, wenn man das so sagen kann. Na ja, und George Grosz.«
    »George Grosz? Wieso denn ausgerechnet den?«
    »Aus politischen Gründen vermutlich. Natürlich hat das mit dem Schwarzmarkt nicht geklappt. Ich wusste ja nicht einmal, wo der sein soll. Ich glaubte, das sei ein geheimer Ort mit schwarz lackierten Buden und Ständen, die …« Jetzt hielt er das Buch hoch und tippte auf das Gemälde vom gelb angestrahlten Nachtcafé in Arles. »Ha! Dieses da! Das hab ich abgemalt! Ich würde so gerne einmal dorthin. Waren Sie schon einmal in Arles?«
    Ivy schüttelte den Kopf, bemüht, nicht verstimmt auszusehen. Musste sie diesem Mann denn noch deutlicher sagen, dass sie üblicherweise nicht flog? Einen Augenblick sah er Ivy irritiert an, so, als befürchtete er, sie verbinde schlimmste Erlebnisse mit Arles, und fuhr dann, um Ablenkung bemüht, fort: »Werden Sie van Gogh denn mit einem oder mit zwei Ohren ausstatten? Ich für meinen Teil, mal angenommen, ich wäre an Ihrer Stelle, würde ihn vermutlich mit beiden Ohren ausstatten, weil der Betrachter ihn sonst womöglich auf den Akt der Selbstverstümmelung und seinen Irrsinn reduziert und darüber vergisst, dass er eben vor allen Dingen ein großartiger Maler war. Nun muss man sich allerdings fragen, was wäre passiert, hätte van

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