Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman
achten sollten, sich mit Sonnencreme und Hüten zu schützen sowie genug zu trinken.
»Das gilt ganz besonders für euch zwei Naturblonden«, sagte Frankie, piekste Olive in den Rücken und zwinkerte Roz zu.
»Keine Bange, ich bin mit Faktor vierzig eingeschmiert«, erwiderte Olive. Sie wünschte nur, es gäbe auch einen entsprechend starken Schutz für ihr Herz, denn jedes Mal, wenn sie zum Ufer der grünen Insel sah, spürte sie deutlich, dass es in Gefahr war.
Sie stellte sich vor, wie sie mit neunzehn Jahren in der griechischen Sonne gesessen hatte und man ihr voraussagte, was für ein Leben sie erwartete. Hätte sie Hals über Kopf gepackt und wäre nach Hause geeilt, hätte sie geahnt, was folgen würde? Hätte sie den freundlichen, liebevollen Mann verlassen, die grüne Insel mitten im blauen Meer und die weißen Kieselstrände für einen fetten, faulen Ehemann und lebenslanges Putzen von anderer Leute Toiletten aufgegeben? Gott, was war sie blöd gewesen!
1943 war Kefalonia für zwei Jahre von italienischenTruppen besetzt worden. Zwischen den Besatzern und den Besetzten entwickelte sich rasch eine friedliche Koexistenz, es entstanden Freundschaften und Beziehungen. Als sich Italien jedoch den Alliierten ergab, kamen massenweise deutsche Soldaten auf die Insel, um die Italiener zu entwaffnen. Letztere trauten den Deutschen nicht, dass sie ihnen sichere Rückkehr erlaubten, und hatten Angst um die Leute auf Kefalonia. Die Italiener und Kefalonier schlossen sich gegen die Deutschen zusammen, aber die Italiener wurden gnadenlos überwältigt. Fünftausend Soldaten starben bei Gefechten und durch Massenhinrichtungen. Von den viertausend überlebenden italienischen Soldaten, die auf Schiffe verladen und in deutsche Gefangenenlager verfrachtet worden waren, starben drei Viertel, als die Schiffe von Torpedos angegriffen wurden.
Olive weinte im Unterricht, als Miss Walker ihnen in der fünften Klasse von der Vernichtung der Acqui erzählte. Durch die Erzählung der Lehrerin von Ziegen und Kaninchen, deren Zähne wegen der Mineralien im Boden golden waren, wurde die Insel damals für Olive lebendig. Miss Walker schilderte die unterirdischen Seen und die Höhlen, in denen die Akustik so hervorragend war, dass Maria Callas dort vor Hunderten sang. Diese Geschichten waren der Grund, weshalb Olive schließlich auf die Insel reiste. Kefalonia war von Erdbeben gebeutelt, aber auch mit einer atemberaubenden Schönheit gesegnet. Und auf dieser Insel hatte Olives Herz erstmals gelernt, im Takt mit einem anderen zu schlagen.
Olive hörte nicht hin, als der Fremdenführer im Bus anfing, über Kapitän Corelli und die Geschichte der Insel zu reden. Darüber wusste sie längst alles.
Der Bus rumpelte die Hauptstraße von Argostoli hinunter. Olive sah den Laden, in dem sie ihr weißes Sommerkleid gekauft hatte, um Atho aufzufallen. Das Geschäft hieß inzwischen anders. Sie sah das Restaurant, in das Atho sie zum ersten Essen mit einem Verehrer ausgeführt hatte, und den Weg, der hinauf zu dem kleinen Bauernhof führte, auf dem Athos Bruder lebte. Atho, Atho, Atho.
Mit jeder Minute kamen sie der Sami-Bucht und dem kleinen Dorf in den Hügeln näher, Tanos, wo die Zitrusbaum-Bar und das Restaurant waren. Als der Bus neben dem Eingang zur Drogarati-Höhle hielt, bekam Olive vor lauter Erinnerungen, die auf sie einstürmten, keine Luft mehr.
»Ich bin froh, dass ich flache Schuhe anhabe«, sagte Roz nach dem Abstieg in die kühle Höhle. »Wie viele Stufen waren das eben?«
»Keine Ahnung«, schnaufte Frankie. »Bei fünfhundert habe ich aufgehört zu zählen.«
»Es sind ungefähr hundertzwanzig«, korrigierte Olive. »Du übertreibst mal wieder.«
»Am liebsten würde ich hier sehr laut singen und sehen, wie es sich anhört«, sagte Ven.
»Also, falls es so ähnlich klingt wie das, was du früher im Schulchor geträllert hast, wird es scheußlich«, antwortete Frankie, die dafür einen Klaps auf den Arm kassierte.
»Seht mal.« Olive zeigte auf die Stalaktiten, die von der Höhlendecke hingen. »Es hat Jahrtausende gedauert, bis sie sich gebildet haben, und die Nazis haben sie im Zweiten Weltkrieg für Schießübungen benutzt.«
»Sind das jetzt Stalakmiten oder Stalaktiten?«, fragte Ven. »Ich verwechsel das immer.«
»›Miten gehen nach oben, Titen hängen runter‹«, antworteten die anderen drei im Chor.
»Weißt du nicht mehr, wie uns Mr. Harrison das eingebläut hat?«, wunderte Roz sich. Mr. Harrison war
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