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Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman

Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman

Titel: Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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eine Frau behandelt werden muss.«
    »Ja, Mum, mach ich.« Und David meinte es ernst. In seinem Kopf entstanden bereits die ersten Pläne für sie beide. Große Pläne.

54. Kapitel
    Mit dem Taxi waren es keine zwanzig Minuten bis Tanos, fühlte sich aber wie eine halbe Ewigkeit an. Olive bat den Fahrer, sie am ersten Bauernhaus dort abzusetzen. Mit seinen weißen Mauern und den orangefarbenen Läden war es immer noch auf eine charmante Art schäbig. Eigentlich hatte es sich überhaupt nicht verändert. Als wäre sie zwanzig Jahre in die Vergangenheit gereist. Sogar der alte Wegweiser zum Dorf hing nach wie vor schief an dem Holzpflock.
    Das Taxi fuhr weg, und Olive bekam für einen Moment Panik. War sie verrückt, hierherzukommen? Ihre Knie wurden weich, als sie um die Ecke bog. Zwei Schritte noch, und sie würde das Café »Zitrusbaum« sehen. Sie ging die beiden Schritte   – und da war es.
    Das Schild war nachgemalt worden, aber darin erschöpften sich auch schon die erkennbaren Neuerungen. Draußen standen dieselben quadratischen Holztische und dieselben Stühle mit Rattanlehnen. Durch das Fenster konnte Olive die Schaufelblätter der Saftmaschine auf dem Tresen rotieren sehen. Einige Feriengäste tranken Kaffee und lasen Zeitungen, und eine junge Kellnerin räumte Tische ab und wischte sie mit einem Lappen. Atho hatte stets darauf geachtet, dass das Café tadellos sauber war, verscheuchte jedoch nie die touristenfreundlichen Tiere, die hier ihr Glück versuchten. Der alte streunende Hund, den das Café irgendwann adoptierte, lebte offenbar nicht mehr; dafür lag jetzt eine zufriedene graue Katze auf einem Hocker, der anscheinend eigens für sie in den Schatten unter einem Olivenbaum gestellt worden war.
    Olive quoll das Herz über vor Liebe zu diesem Ort. Damals war sie die Kellnerin gewesen, die um die Gäste herumhuschte, ihnen große Teller mit gefüllten Weinblättern und Moussaka brachte, weil Atho seine Portionen anderthalbmal so üppig haben wollte wie die anderen Cafés. Er war in jeder Beziehung ein großzügiger Mann.
    Dann sah sie ihn. Dort war er, drinnen im Café. Atho Petrakis. Er war nicht rundlich, kahl und insgesamt älter geworden, sondern noch genauso, wie sie sich an ihn erinnerte: dichtes schwarzes Haar, gerader Rücken, die starken Arme gebräunt. Er zog einen Kaffee aus einer riesigen Maschine.
    Olive wurde fast schwindlig, und ihre Beine drohten nachzugeben. Rasch stolperte sie zu einem der Stühle, um sich hinzusetzen, ehe sie umfiel. Die Kellnerin hörte das Schaben der Stuhlbeine auf dem Steinboden und bemerkte die blasse, zitternde Frau.
    »Atho!«, rief sie. Und Olive sah gerade noch die große dunkle Gestalt auf sich zukommen, bevor sie ohnmächtig auf den Tisch kippte.
    Wenig später, als Olive die Augen öffnete, erkannte sie, dass es nicht ihr Atho war, auch wenn er ihrer früheren Liebe aus der Entfernung täuschend ähnelte.
    »Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte der Mann. Auch seine Stimme klang anders als die von Atho, weniger rauchig und tief. Und die Hand, die sich auf ihre Schulter legte, war leichter. Ihr Atho hatte große, kräftige Bauernhände gehabt.
    »Es tut mir so leid«, entschuldigte Olive sich. »Ich habe nach Atho Petrakis gesucht.«
    »Ich bin Atho Petrakis«, sagte der Mann. »Oder haben Sie nach meinem Vater gesucht?«
    Ja, dachte Olive, er muss sein Sohn sein. Athos Sohn.
    »Ich meine den Atho, dem dieses Café vor zwanzig Jahren gehört hat.«
    »Ja, das ist mein Vater.«
    »Ist   … Ist er hier?«, fragte sie zögerlich. Bestimmt nicht. Im richtigen Leben wählte die gesuchte Person meist ausgerechnet so einen Tag aus, um weit weg etwas zu erledigen. Und wie Olive ihr Glück kannte, war Atho wahrscheinlich gerade nach Barnsley gereist.
    »Mein Vater ist nicht mehr hier.«
    Die Worte trafen Olive mitten ins Herz. Er war tot. Sie war bescheuert gewesen, von hier wegzugehen, und noch blöder, wieder herzukommen.
    »Oh, das tut mir leid. Wie lange schon?«
    Die Kellnerin lächelte, knuffte Atho junior und sagte sehr schnell etwas auf Griechisch zu ihm.
    »Oh, nein, er ist nicht tot«, sagte Atho wild abwinkend. »Er arbeitet nicht mehr in der Bar. Er wohnt in dem Haus hinten.«
    »Wo früher seine Eltern gewohnt haben?«, fragte Olive. Viel länger machte ihr Herz dieses Wechselbad der Gefühle nicht mehr mit.
    »Ja. In dem wohnt er jetzt. Sie sind eine alte Freundin von ihm, ja?«
    »Ja«, antwortete Olive mit zittriger Stimme.
    Atho streckte ihr seine

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