Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman
Trotz ihrer langen Beine, der makellosen Figur und ihrem hübschen Gesicht mit den Wangenknochen, für die andere Frauen morden würden, hatte ihre Unsicherheit das Bild stets verzerrt. Manus könnte sie gar nicht mehr begehren, nur wurde Roz schon als Kind das meiste Selbstvertrauen ausgetrieben. Sie erinnerte sich nicht, zu Hause jemals Lob oder Wärme erfahren, dafür reichlich Kritik und Schläge, und das bisschen, was sie sich an Selbstwertgefühl bis ins Erwachsenenalter retten konnte, erlitt durch Roberts Betrug einen schweren Schaden. Während dieser Bauchtanzstunden aber bekam Roz endlich wieder einen Bezug zu ihrer eigenen Sinnlichkeit. Beim Wiegen der Hüften und Bauchrollen arbeiteten ihre Beckenmuskeln, lösten sich Spannungen und wurde der Blutfluss in einem Körperbereich angekurbelt, der lange gefühllos gewesen war. Der Tanz weckte ihre Libido, so dass Roz sich beinahe schon spitz fühlte.
Nach der Stunde war sie gerötet und außer Atem. Ebenso erging es Phyllis, einer Siebenundsiebzigjährigen, die Roz Gedanken mit dem Satz zusammenfasste:»Meine Güte, so viel habe ich mich seit der Hochzeitsnacht nicht mehr da unten bewegt.« Roz wünschte, Manus wäre in der Nähe, denn in diesem Moment sehnte sie sich danach, ihm das Hemd herunterzureißen, aufs Bett gezogen zu werden und unter ihm zu liegen, damit er mit ihr tat, was immer er wollte. Aber er war nicht hier, und eine kalte Dusche wäre gewiss klug, also eilte Roz nach unten zu ihrer Kabine. Vorm Restaurant Cruz aber kollidierte Raul Cruz mit ihr, der gerade herausgelaufen kam.
Nun war Roz immer schon verschlossener gewesen als ihre Freundinnen. Natürlich erzählten sie einander, in wen sie verliebt waren, doch Roz war diesbezüglich deutlich zurückhaltender als die anderen. Entsprechend wusste niemand von ihrer Schwärmerei für Raul Cruz. Sie sah jeden seiner Auftritte im Fernsehen und ließ für seine Kochshow alles stehen und liegen. Dort traten zehn Leute gegeneinander an, die ausnahmslos erpichter auf seine Zustimmung wirkten als auf die zehntausend Pfund Preisgeld.
Raul Cruz war ein großer, breitschultriger Spanier mit wirrem schwarzem Haar, riesigen schokobraunen Augen und der arroganten Körperhaltung eines Stierkämpfers. Und jetzt war er hier auf dem Gang, hielt Roz mit seinen Michelin-besternten Händen und sah sie an, als wollte er sie verschlingen – langsam und genüsslich.
»Verzeihen Sie mir«, sagte er. Seine Stimme klang vollmundig und köstlich wie ein Rioja.
»Nichts passiert«, hauchte Roz heiser. Sie fühlte, wie noch mehr Blut in ihr Becken rauschte, weil er sie nicht losließ.
»Ich frage mich … Können Sie mir vielleicht helfen?«
Zu verneinen war Roz in etwa so unmöglich, wie sich ihre Nase abzureißen.
»Natürlich.«
»Kommen Sie, kommen Sie.« Raul Cruz nahm Roz’ Hand und zog sie mit sich in sein Restaurant. Sie wusste nicht, was er von ihr wollte, aber es war ihr auch egal. Hätten die anderen sie jetzt sehen können, sie hätten Roz nicht wiedererkannt, so zittrig und atemlos wie sie auf einmal war.
»Bitte, setzen Sie sich.« Raul Cruz drückte Roz auf einen gepolsterten Stuhl, beide Hände fest auf ihren Schultern. Dann schob er den Stuhl geübt unter den Tisch und bat Roz, einen Moment zu warten, bevor er durch eine Pendeltür entschwand. Roz hörte ihn dahinter herumklappern.
Während sie wartete, schaute sie sich um. Es war ein schönes Restaurant, in satten Rot- und dunklen Lilatönen gehalten. Leise spanische Gitarrenmusik war zu hören, und Roz stellte sich vor, wie es abends hier sein müsste, wenn die roten Kerzen auf den Tischen brannten: eine elegante, intime Atmosphäre, ideal für ein Abendessen zu zweit.
Auch der Blick aus den Fenstern war atemberaubend. Vor der Kreuzfahrt hätte Roz niemals gedacht, dass Wasser romantisch aussehen konnte. Doch genau das tat es. Das Meer bezauberte und beruhigte mit seinen sanften Bewegungen, aber ähnlich einem leidenschaftlichen Liebhaber, durfte man auch ihm nie ganz trauen, und das verlieh ihm einen aufregend gefährlichen Touch. Verdammt, die Erotik des Bauchtanzes setzte ihr wirklich zu.
Die Pendeltür schwang weit auf, und Raul Cruz erschien mit einer ovalen Platte voller Canapés in der einen und zwei Flaschen Wein in der anderen Hand. Er stellte die Sachen vor Roz, drehte zwei Gläser um, die bereits auf dem Tisch standen, und schenkte in das eine einen sehr dunkelroten Wein, der ein mächtiges Aroma verströmte. In das zweite
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