Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman
schleppen und zum Arbeitsamt zu trotten. Kevin hingegen trieb Olive in den Wahnsinn. Der Mann war wie eine Heuschreckenplage. Er biss Käsestücke an und trank Milch direkt aus der Tüte. Und seine dunkelbraunen Zähne machten das nicht appetitlicher. Außerdem spülte er nie, wenn er auf dem Klo gewesen war. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, plünderte auch noch jemand Olives Spardose. Es fehlten fünf Pfund, die angeblich keiner genommen hatte. In der Dose sparte Olive für Vens Geburtstagsgeschenk. Roz wollte es auf die Kreuzfahrt mitnehmen. Den Geburtstag würden sie in Venedig verbringen – noch so ein Ort, an den Olive immer schon einmal reisen wollte. Eine Frau, für die sie putzte, war dort gewesen und beschrieb die Stadt als »so wunderschön, dass man glaubt, an einem Filmset zu sein«. Olive bezweifelte allerdings, dass es irgendwo so unsagbar idyllisch wie auf Tanos sein könnte. Jedenfallsbeneidete sie ihre Freundinnen um nichts so sehr wie den Halt in Kefalonia.
»Hast du schon alles ausgegeben, Roz?«, fragte Olive.
»Nicht ganz.« Roz hatte sich mit ihren fünfhundert Pfund direkt ins Getümmel gestürzt, um das Bild des traurigen Manus schnell wieder aus ihrem Kopf zu vertreiben. »Ven meinte, auf dem Schiff gibt es auch Läden, also finde ich da vielleicht noch etwas.«
»Ja, da gibt es einfach alles«, bestätigte Ven. »Vom Tampon bis zum Smoking. Macht also nichts, wenn man was vergisst. Wir können alles an Bord kaufen.«
»Klingt wunderbar«, seufzte Olive.
Ven nahm ihre Hände.
»Bitte, Olive, fahr mit! Die können auch mal zwei Wochen ohne dich auskommen. Sechzehn Tage deines Lebens, mehr nicht. In meinem Safe liegt ein Ticket mit deinem Namen drauf, und in neunzehn Stunden steigen Roz und ich in einen Bus nach Southampton, aber das wird nicht halb so schön, wenn du nicht dabei bist. Ich flehe dich an! Du weißt, wie viel Mist ich in den letzten paar Jahren erlebt habe – mit dem Tod von Mum und Dad, der Kündigung und der Scheidung von Ian, dem Schwein …« Ven verzog absichtlich das Gesicht, um Mitleid zu erregen.
»Keine emotionale Erpressung bitte«, entgegnete Olive lächelnd. »Ehrlich, wenn es ginge, würde ich sofort mitfahren. Aber ich hätte die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen.«
»Vergiss den Mist!«, sagte Ven, die wütend war, weil Olive sich von ihrer Familie so schamlos ausnutzen ließ. »Die siechen bestimmt nicht gleich dahin, nur weil du sie ein paar Tage nicht von vorne bis hinten bedienst.«
»Wer soll sich denn um sie kümmern, wenn du irgendwann tot umfällst?«, ergänzte Roz etwas überspitzt.
»Ich weiß, dass ihr mich für blöd haltet, und ich bin ja auch blöd«, sagte Olive traurig. »Ich weiß, dass sie sich viel zu sehr auf mich verlassen und wahrscheinlich mehr alleine können, als sie zugeben. Aber ich kann doch nicht einfach verreisen, selbst wenn ich wollte – und das will ich wirklich. Außerdem muss ich morgen Nachmittag putzen. Ich darf meine Kunden nicht einfach hängen lassen. Außerdem besitze ich kein einziges anständiges Sommerkleid. Genau genommen habe ich gar nichts Anständiges anzuziehen.«
»Ich habe das Taxi für zwanzig vor acht morgen früh bestellt«, erklärte Ven unbeirrt. »Um fünf vor sind wir bei dir. Taschengeld für unterwegs kriegen wir von der Reederei, und du kannst dir von Roz und mir etwas zum Anziehen leihen.«
»Lass es gut sein, Ven«, sagte Olive leise. »Ich fahre nicht mit.« Sie sah auf ihre Uhr. Bald musste sie los, weil sie heute noch zwei Putzstellen hatte.
»Olive, bitte«, bettelte Ven und drückte Olives Hand. Ihr Pulver hatte sie verschossen. Sie hatte gebettelt, und es mit emotionaler Erpressung versucht, aber Olive war viel zu pflichtbewusst, zu fürsorglich und zu selbstlos. Zu verdammt nett.
Roz leerte ihre Tasse und sah ebenfalls auf die Uhr. Ihre Parkzeit war fast abgelaufen, und sie musste nach Hause, um fertig zu packen. Also stand sie auf, warf ihr blondes Haar über die Schulter und beugte sich zu Olive.
»Du bist eine selten bescheuerte Frau, Olive Hardcastle«, sagte sie und umarmte die Freundin.
»Ja, weiß ich.«
10. Kapitel
Olive hatte schon den ganzen Tag leichte Kopfschmerzen, doch als sie sich von Ven und Roz verabschiedete, wurden sie schlagartig heftiger. Sie schaffte es, sich durch ihren ersten Putzjob zu quälen, aber auf der Busfahrt zum nächsten merkte sie, dass sie unmöglich weiterarbeiten könnte. Fraglos hatte der Stress der Urlaubsabsage dieses
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