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Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman

Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman

Titel: Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Hämmern in ihrem Schädel verursacht. Was machte sie da eigentlich? Wie Ven richtig sagte, waren es sechzehn Tage ihres Lebens, eine Chance, die sich ihr nie wieder bieten würde. Olive war bewusst, dass sie in einem Gefängnis saß, in das sie sich selbst gesperrt hatte. Kevin mochte ein fauler Sack sein, doch er hatte weder Rücken- noch Beinprobleme und könnte für zwei Wochen die Stellung halten. Und wie Roz so treffend bemerkt hatte: Falls Olive tot umfiel, kämen die beiden auch ohne sie klar, weil sie müssten.
    Olive rief Janice, die andere Büroreinigungskraft, von ihrem Prepaidhandy an. Es war gerade noch genug Guthaben für diesen einen Anruf auf der Karte, allerdings zu wenig, um David Bescheid zu sagen, dass sie früher nach Hause kam. Was für ein Hohn, dass sie immerzu arbeitete, sogar samstagabends, und alles, was sie sich leisten konnte, war ein armseliges Fünfzehn-Pfund-Handy. Kevin hingegen, der von Stütze lebte, besaß ein schickes iPhone mit zwölf Millionen Apps. Olive betrachtete ihr Spiegelbild im Busfenster. Sie sah Jahre älter aus als sie tatsächlich war. Ihr langes blondes Haar hatte sie zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden, damit es sie beim Putzen nicht störte. Ihre Kleidung war schäbig, musste aber noch lange halten. So sah eine Frauaus, die ihr Leben leid war, und auf einmal begriff Olive, dass sie es wirklich satt hatte. Wären die olivgrünen Augen nicht gewesen, sie hätte sich gar nicht als denselben Menschen wiedererkannt, der früher so lebenslustig und voller Träume gewesen war.
    Olive hatte ihr ganzes Leben immer nur für andere gesorgt. Ihr Dad war gehbehindert gewesen, so dass sie ihm immer alles bringen und viel für ihn machen musste; ihre Mum hatte dauernd mit dem einen oder anderen Zipperlein im Bett gelegen. Als sie mit Olive schwanger wurde, war ihre Mutter schon fünfundvierzig gewesen und ihr Dad Ende fünfzig, wobei beide noch deutlich älter wirkten, als sie tatsächlich waren. Nie kamen sie zu Schulaufführungen oder Preisverleihungen. Es waren Vens Mum und Dad gewesen, die Olive zugejubelt hatten. Bei ihnen zu Hause erlebte Olive das Familienleben, nach dem sie sich sehnte. Mrs. Smith hatte Ven und Olive umsorgt und verwöhnt, und Mr. Smith steckte ihnen heimlich Geld fürs Kino zu. Olives Zuhause hingegen konnte man eher mit einem Arbeitslager vergleichen. Manchmal kam es ihr vor, als hätten ihre Eltern sie nur bekommen, damit sie sich um sie kümmerte   – und für diesen Gedanken schämte sie sich.
    Wahrscheinlich hätte sie damals besser nicht nach Kefalonia fahren sollen. Dort erst hatte sie begriffen, wie anders, wie viel schöner das Leben sein konnte. Als sie ihre Eltern irgendwann vom Münztelefon im »Zitrusbaum« angerufen hatte, hörte sie von ihrer Mutter nur Vorwürfe. Sie hätte ihre Eltern gemein im Stich gelassen. Olives Schuldgefühle trieben sie umgehend zurück nach Hause, wo sie ihre Eltern völlig verwahrlost vorfand. Olive war erschüttert gewesen, woran auch derArzt nichts ändern konnte, der bei seinen Hausbesuchen mehrfach und teils recht gereizt erklärte, dass keinem der beiden wirklich etwas fehlte.
    Olives Dad war an einem Schlaganfall gestorben, als sie vierundzwanzig war. Kurz nach diesem Verlust bot ihr dann der große, ziemlich von sich eingenommene David Hardcastle im Bus seinen Sitzplatz an. Diese simple Geste sicherte ihm ein erstes Date mit Olive. Sie war es sonst einfach nicht gewöhnt, dass jemand etwas für sie tat. David schaffte es, sie zeitweise von ihrer zunehmend verwirrteren Mutter abzulenken. Als die dann für sich selbst zur Gefahr wurde, und Olive nicht rund um die Uhr auf sie aufpassen konnte, fand sie ein schönes Heim für ihre Mutter in Penistone. Allerdings musste Olive das Haus verkaufen, um die Unterbringung zu bezahlen. Wenn sie Davids großen Plänen lauschte, konnte Olive wenigstens kurz die Besuche bei ihrer Mum vergessen, die sie nicht mehr erkannte. Doreen war damals immer so freundlich zu ihr gewesen. Olive fühlte sich regelrecht geschmeichelt, weil Davids Mutter sie gleich wie ein richtiges Familienmitglied behandelte. Da schien es nur logisch, dass David und Olive heirateten und zu Doreen zogen. Bis Olives Mum schließlich starb, war das gesamte Geld vom Verkauf des Hauses aufgebraucht. Und Olive war wieder genau da, wo sie angefangen hatte. Sie musste sich wieder um alles kümmern, lediglich die Kulissen hatten gewechselt. Geblendet von dem bisschen Zuneigung, die man ihr zeigte,

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