Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman
war sie blind ins Unglück gerannt.
Olive stiegen Tränen in die Augen, als sie an all das zurückdachte. Sie weinte nie – den Luxus konnte sie sich gar nicht leisten – doch jetzt, beim Anblick ihres traurigen Spiegelbildes, wurde ihr klar, wie unsagbar erschöpft sie war. Hatte sie einen Job erledigt, wartete schon der nächste. Eine Pause gab es für sie nur, wenn sie auf dem schmalen Matratzenstreifen schlief, den David im Bett freiließ. Ihr Leben bestand nur aus Schufterei: keine Ausflüge, keine Ferien, auf die man sich freuen konnte wie normale Ehepaare.
Olive war schlicht zu erledigt, um mit diesen mörderischen Kopfschmerzen den nächsten Putzjob durchzustehen. Janice würde ihre Arbeit mit übernehmen und dafür Olives Lohn bekommen – an diesem Abend war es das wert. An der nächsten Haltestelle stieg Olive aus. Obwohl es erst August war, kam es Olive so kalt vor wie im Winter, und noch dazu regnete es heftig.
Langsam ging sie die schmale Seitenstraße hinunter zur Land Lane und stellte sich vor, wie Ven und Roz sich auf ihre Abreise morgen freuten. Wenn die beiden jetzt aus dem Fenster schauten, wussten sie dabei, dass sie morgen weit weg sein würden – unterwegs nach Kefalonia, wo sie weiße Strände und tiefblaues Wasser erwarteten. Wie es wohl wäre, nur wenige Meilen von Tanos und dem Zitrusbaum entfernt zu sein? Und von Atho Petrakis. Wie sah er wohl heute aus, nach zwanzig Jahren? War sein schwarzes, lockiges Haar von grauen Strähnen durchzogen? Waren seine Augen noch so groß und bärenbraun? Würde seine Haut noch nach Holz, Kaffee und Kräutern duften? Waren seine Lippen noch so voll und weich? Olive verdrängte die Gedanken, weil ihre Kopfschmerzen dadurch nur noch schlimmer wurden.
Sie hatte fast das Ende der Seitenstraße erreicht, in der sie wohnte. Ob in meiner Abwesenheit vielleicht wiedurch ein Wunder jemand abgewaschen, staubgesaugt oder etwas Bleiche in die Toilette gekippt hat, überlegte sie. Dann, als sie gerade die Straße überqueren wollte, sah sie, wie Doreens Haustür aufging. Was sie nun beobachtete, sollte ihr trübes Leben jäh beenden.
Roz kämpfte damit, ihren Koffer zu schließen, als Manus hereinkam. Sein Overall roch nach Öl und Benzin. Der Geruch sprach etwas in ihr an, das sie angestrengt hinter ihrer Kleinlichkeit und Sturheit verbarg. Wie kam sie eigentlich dazu, Olive ihre Schwäche vorzuhalten, wenn sie selbst es nicht einmal schaffte, diesem freundlichen Bären von einem Mann zu sagen, dass sie ihn liebte, es ihm aber nicht zeigen konnte? Herrgott, dafür brauchte sie eigentlich eine Therapie! Die letzten vierzehn Tage, seit sie sich auf die Pause geeinigt hatten, lebten sie praktisch wie Fremde nebeneinander her, redeten nur, wenn es sein musste, und auch dann lediglich das Nötigste. Manus war ins Gästezimmer gezogen.
Er versuchte nicht, sie zur Begrüßung zu küssen. Stattdessen presste er ihren Kofferdeckel herunter, damit sie den Verschluss einrasten konnte.
»War es das jetzt mit dem Gepäck?«, fragte er. »Kommt mir vor, als hättest du unsere gesamte Einbauküche da drinnen!«
»Mehr oder weniger«, antwortete sie mit einem kleinen Lächeln.
»Ich habe noch eine Kleinigkeit für Ven«, sagte er, griff in seine Tasche und gab ihr einen schwarzen Beutel. »Ist ja ein besonderer Geburtstag, der Vierzigste, nicht?«
Er redete hastig und erwartete anscheinend eine spitze Erwiderung von ihr, weil er Geschenke für andereFrauen kaufte. Es war beklemmend, zu was für einem nervösen Wrack sie den Mann gemacht hatte. »Ich packe es ein und gebe es ihr«, sagte sie nur und erstickte schnell ihre Schuldgefühle.
»Ich hatte keine Zeit, es einzupacken, wie du siehst.«
»Macht nichts. Du bist ein Kerl – das wird sie verstehen.«
Wieder einmal warf sie ihn in einen Topf mit allen nutzlosen Männern dieser Welt. Sie wollte schon zurückrudern und schnell sagen, dass sie es nicht so gemeint hatte, aber ihr blöder Stolz hielt sie davon ab.
Mit versteinerter Miene verließ Manus das Schlafzimmer. Roz hätte nie gedacht, dass er so kalt sein konnte.
11. Kapitel
»Mist«, murmelte Doreen, als sie ihre Schachtel Black Superkings öffnete und feststellte, dass sie leer war. David oder Kevin mussten ihr die letzte Zigarette stibizt haben, als sie eingenickt war, diese beiden Schlawiner. Leider war keiner von ihnen hier, so dass sie niemanden zum Laden schicken konnte, um neue Zigaretten zu holen. Tja, und Olive kam frühestens in zwei
Weitere Kostenlose Bücher