Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
nickte ich, schaffte ein Lächeln, während ich nach Gefühlen forschte, war aber offenbar noch zu überrascht, um etwas außer Überraschung zu empfinden.
»Jan-Hendrik hat mir gesagt, dass ihr ein bisschen in Eile seid. Aber ich muss einfach mit dir reden. Also fahre ich mit bis – wie hieß das noch?«
»Rechlin«, sagte Henner, der wie ein Konfirmand beim Zählen der Geldgeschenke grinste.
»Bis Rechlin, dort steige ich ins Taxi; die Tour ist noch nicht vorbei, wir spielen heute Abend in Rostock. Das sind wohl zwei Stunden bis Rechlin. Die bekommst du von mir. Was danach wird, weiß ich noch nicht.«
Wir legten ab, was mit einer Frau an Bord – Cora drapierte sich auf dem Vorschiff – äußerst merkwürdig war, und ich war abseits aller anderen, nach und nach eintrudelnden Empfindungen nervös und aufgeregt wie zu Uni-Zeiten, wenn ich One-Night-Stands in meine Wohnung geführt hatte. Mein Angebot, ihr das Schiff zu zeigen, lehnte sie ab, doch sie rümpfte die Nase, als sie bemerkte, wie es im Salon stank, hauptsächlich nach Zigarettenqualm.
»Ich bin nicht für Besichtigungen hier, Finke«, sagte sie knapp. Aber die Schäden an der Backbordseite nahm sie durchaus zur Kenntnis.
Ich tat beschäftigt, prüfte die restlichen Fender, verpackte die Badeleiter, legte den Bootshaken für die Schleusung bereit. Simon stand am Steuer und beobachtete mich grinsend. Mark saß auf der Bank am Bug und musterte Cora ehrfürchtig, zu der sich Henner gesellt hatte, was mich daran hinderte, ihn wenigstens kurz zur Rede zu stellen. Aus Marks Sicht saß da ein Mensch, der es nicht nötig hatte, sich dadurch zu etwas Besonderem zu machen, dass er Modewörter erfand oder Jobs annahm, die äußerst originell, aber völlig bedeutungslos waren. Cora war praktisch der Gegenentwurf zu seinem Dasein: selbstbewusst, zielsicher, talentiert, drogenfrei. Es war gut zu erkennen, worüber Mark nachdachte. Aber ich war zu verwirrt, um mich dafür zu begeistern.
An der Schleuse Mirow ging es flotter als erwartet, wir erreichten die Müritz-Havel-Wasserstraße schon eine gute Viertelstunde nach dem Ablegen. Henner deckte den Frühstückstisch auf der Heckterrasse, und dann aßen wir zusammen,wobei sich Mark und Simon am Steuer abwechselten. Das Essen verlief sehr still, nur einmal sagte Cora kurz, den Blick aufs Ufer geheftet: »Wirklich sehr, sehr schön hier.«
Als Simon anbot, von der Reise zu berichten, sagte sie nur: »Danke, aber ich will das nicht hören.«
Und ich zählte die Minuten bis zur großen Aussprache, schlürfte meinen Kaffee langsam und kaute die Brötchen weit intensiver als erforderlich. Wir passierten eine leichte Ausbuchtung, Cora stand auf, nahm meine Hand und zog mich zum Bug. Ich hielt sie an der Hüfte fest, als wir an den Kabinen vorbeikletterten, und merkte erstaunt, dass ich offenbar einem Schutzimpuls folgte, der wohl mit ihrem … Zustand zu tun hatte.
»Ich wollte abtreiben, aber ich habe es nicht fertiggebracht«, sagte sie schließlich, fast ein bisschen feierlich, als wir auf der Bank saßen. »Deshalb die Reise ins Allgäu, von der ich dir nicht erzählt habe.«
»Und ich habe gedacht …«
»Schon klar. Daran denkt ihr Männer immer als Erstes, weil ihr es so tun würdet. Geheimnisvolle Reisen, durchgearbeitete Nächte im Büro, Seminarwochenenden, all dieses Detektivfilmezeug. Aber ich würde dich nie betrügen.« Und dann, nach einer kleinen Pause. »Ich hätte dich nie betrogen.«
Und ich habe es getan, dachte ich. Mit Huren gefickt und mit der Traumfrau aus dem weißen Thunderbird gekuschelt. Ich sah zum Himmel und erwartete, dass ein blendender, alles vernichtender Blitz auf mich herniederzuckte und mich auf der Stelle zu Asche verbrannte.
»Cora, ich …«
Sie unterbrach mich wieder. »Es ist unverzeihlich, was ich getan habe. Zu versuchen, dich einfach vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das war schlimmer als ein Verhältnis oder so etwas. Ich wollte dich zwingen, weil ich es nicht geschaffthabe, dich zu überzeugen. Das ist mit Liebe unvereinbar. Ich muss lernen, das zu verstehen.« Sie seufzte, in ihren riesigen Augen glitzerte es, sie neigte den Kopf. »Und ich liebe dich. Vielleicht ist das mein Problem.«
In diesem Augenblick war ich kurz vor einem Geständnis – schließlich hatte sie eine Steilvorlage geliefert, von wegen ihre Tat wäre schlimmer als eine Affäre. In mir tobte ein unüberschaubares Gefühlschaos, eine Mischung aus hingerissener Rührung und ungefähr
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