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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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siebentausend verschiedenen Ängsten.
    »Es ist ja nicht geschehen«, sagte ich stattdessen und dachte kurz an Anna. »Du warst schon vor dieser … Aktion schwanger.«
    »Aber ich habe es versucht. Ich wusste ja noch nicht, dass es längst passiert ist.«
    »Das spielt keine Rolle«, behauptete ich. »Und es gibt nichts, das ich dir zu verzeihen hätte. Wenn hier jemand um Entschuldigung zu bitten hat, dann wohl ich.«
    »Du hast nicht reagiert, hast mich einfach ignoriert.« Sie weinte lautlos. »Ich habe Hunderte SMS geschrieben und ununterbrochen versucht, dich zu erreichen, aber du warst nicht da.«
    »Ich dachte, du wolltest mit mir Schluss machen.«
    »Und ich habe einen Kliniktermin nach dem anderen verschoben, weil ich die Hoffnung hatte, du würdest dich melden und einfach Ja sagen.«
    »Ja?«
    »Zu uns dreien. Du und ich und der kleine Käfer.«
    Du und ich und der kleine Käfer. Wie kurz zuvor am Steg war es, als würde mich jemand mit etwas sehr Schwerem prügeln. Da war sie, eine Abzweigung, hinter der zwei völlig unterschiedliche Leben lagen: Patrick Finke solo, weiter auf der Suche nach irgendwas. Und Papa Patrick, mit Frau Cora und dem kleinen Käfer . Ich sah zu ihrem Bauch und bemerkteerst jetzt, dass auch ihre Brüste etwas an Volumen zugelegt hatten. Cora nahm meine rechte Hand und legte sie auf die Stelle, unter der ein knapp drei Monate junges, winziges Herz pochte. Das andere, das ihre spürte ich deutlicher. Und meines. Es schlug mindestens bis zum Kinn, aber selbst meine Kopfhaut pochte im Rhythmus. Die Nutten und die Kanu-Zauberfrauen waren plötzlich bedeutungslos. Es ging nur noch um ein simples Ja oder Nein. Und darum, dass es aus beidem keinen Weg zurück gab.
    »Du musst das nicht jetzt entscheiden«, sagte sie leise, ihrem keine Stunde alten Ultimatum widersprechend.
    »Doch. Muss ich«, sagte ich tapfer, meinte es aber auch so.

    Die Geräusche vom Anlegemanöver waren bereits zu hören, als wir verschwitzt wie saudische Ölarbeiter aus meinem Bett kletterten.
    »Sie können hier nicht anlegen!«, brüllte jemand – natürlich wieder eine Frau – mit sich überschlagender Stimme.
    »Dauert keine dreißig Sekunden«, gab Mark zurück, der sich offenbar direkt über uns befand.
    »Sie können hier nicht anlegen!«, wiederholte die Stimme energisch. »Ich rufe die Polizei!«
    Ich streifte meine Badehose über, Cora schlüpfte elegant in ihre Klamotten, was ich bedauerlich fand. Wie hatte ich all das auch nur für eine Mikrosekunde vergessen können? Wie dumm kann man eigentlich sein? Ich schüttelte den Kopf über mich selbst.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie, etwas besorgt.
    Ich lächelte. »Absolut. Feinkörnig.«
    »Feinkörnig«, wiederholte sie lachend. »Blödes Wort.«
    Zwei Minuten später schritt sie über den Steg von dannen, sich ständig umdrehend, winkend, mir Kusshände zuwerfend – und glücklich. Sie ignorierte die vermeintliche Hafenmeisterin, die mit den Händen in der Luft herumfuchtelteund unaufhörlich »Legen Sie ab! Legen Sie sofort ab!« schrie. Die anderen Leichtmatrosen hatten offenbar einfach einen Privatanleger angesteuert.
    »Sie ruinieren sich noch die Stimmbänder«, sagte Simon an seiner Zigarette vorbei, während er die Leinen wieder löste.
    »Das wird ein Nachspiel haben!«, krähte die Dame, eine hagere Endfünfzigerin in Jeans und Shirt.
    »Wissen Sie«, sagte Mark zwinkernd. »Das haben wir während der letzten Tage oft gehört, aber passiert ist nie was.«
    »Noch nicht«, merkte Simon leise an und hustete dann.
    Mark drehte sich zu mir und nickte dabei heftig. »Die ist ja unglaublich süß. Unglaublich. Du Glückspilz.«
    Ich nickte ebenfalls.

    Der Scheiße-ich-werde-Vater-Kater erreichte mich mit voller Wucht, als wir die Kleine Müritz, an der Rechlin lag, in Richtung Nordwesten verließen. Ich saß auf der Bank, Henner – abwartend – im Schneidersitz ein paar Meter hinter mir, Simon steuerte, und Mark war unter Deck; vielleicht schnupfte er den Staub seiner Kabine in der Hoffnung, dieser enthielte ein paar heruntergefallene Ecgonylbenzoat-Moleküle. Die zurückliegende Stunde hatte alles relativiert, was mir passiert oder woran ich gedacht hatte während der vergangenen Wochen, und es kam mir völlig hirnrissig vor, auch nur darüber spekuliert gehabt zu haben, diese unglaubliche, unglaublich süße , fantastische, rührende, hingebungsvolle Frau zu verlassen, aber diese Stunde – vor allem ihr letzter Teil – hatte mich auch vom

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