Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
gab, das Imprint einer europaweit agierenden Gruppe mit Sitz in Frankfurt am Main. Nach der hausgemachten Insolvenz, die sich schon länger abgezeichnet hatte, ging alles relativ schnell. Den knapp 80 Stammmitarbeitern wurde gekündigt, aber ein Drittel von uns – darunter auch ich – erhielt das Angebot, in die so genannte »Main-Metropole« umzuziehen, aus den drei Etagen im glänzenden Bürohochhaus in Berlin-Schöneberg, in dem der Verlag bis dahin residiert hatte, in ein unansehnliches, fünfstöckiges Vierziger-Jahre-Gebäude in Sachsenhausen, das zum reichlichen Immobilienbesitz der Gruppe gehörte und in dem außerdem die Reste von drei weiteren aufgekauften Verlagen versuchten, so zu tun, als gäbe es sie noch.
Ich hatte weder Lust auf die Stadt in Hessen, wo es nichts als Äppelwoi, Karneval und Banken gab, noch darauf, aus der Ferne eintreffenden Befehlen zu folgen, aber eigentlich nur noch ein Korrektor mit geringfügig erweitertem Kompetenzbereich zu sein.
Also ließ ich meine Kontakte spielen, wie man so sagt, doch was ich eigentlich hierfür hielt, erwies sich in diesem Moment als klägliche Ansammlung von Leuten, die vor allem um den eigenen Job bangten und deshalb jede ihnen bekannte Option wie ein Staatsgeheimnis behandelten, die Einladung zum Essen aber dennoch annahmen. Schließlich brachte mich ein ehemaliger Hausautor, mit dem ich eine lockere Hin-und-wieder-ein-Bierchen-Freundschaft pflegte und der neben Regionalthrillern auch gelegentlich Fachbücher publizierte, eher zufällig darauf, dass bei Meggs & Pollend demnächstVakanzen anstünden, weil mindestens zwei Lektoren aus Altersgründen ausscheiden würden.
Ich trat in den Verlag »mit dem wirklich relevanten Programm« Ende 2006 ein, vier Monate bevor Bernd Meggs und Robert Pollend in dessen viersitziger Beechcraft Bonanza – dem Nachfolger der Maschine, mit der Apple-Mitgründer Steve Wozniak 1981 abgeschmiert war – beim Versuch, auf einem Getreidefeld östlich von Friedrichshafen notzulanden, ums Leben kamen, im Gegensatz zu Wozniak, der den Absturz fünfundzwanzig Jahre vorher halbwegs überstanden hatte. Dadurch fiel das Unternehmen in den Besitz der Witwen, was – dem Klischee zufolge – regelmäßig zum Untergang solcher Firmen führte, im Fall von Meggs & Pollend aber genau den gegenteiligen Effekt hatte, ganz unabhängig von den merkwürdigerweise, aber nur vorübergehend ansteigenden Verkaufszahlen kurz nach dem Tod der Gründer, der ein gehöriges Medienecho generierte, denn die vom Himmel plumpsende Maschine zerriss außerdem einen traktorfahrenden Jungbauern, der kurz zuvor Vater von fotogenen Zwillingen geworden war. Greta Meggs und Sigrid Pollend restrukturierten den Verlag, ohne seine Substanz zu beschädigen, abgesehen vielleicht von Greta Meggs’ Eigenart, ein halbes Jahr nach dem Tod ihres Mannes damit anzufangen, vom Volontär bis zum Programmchef alles zu vögeln, was die elegante, knapp vierzigjährige Witwe attraktiv genug fand und/oder bei einem Nein den Verlust des Jobs befürchtete. Diese Sorge allerdings war unbegründet; als ich Meggs’ Avancen höflich, aber bestimmt zurückwies, geschah nichts – Greta Meggs war nicht einmal beleidigt, sondern lenkte ihr Augenmerk umgehend auf einen jungen, ambitionierten Buchhandelsvertreter, der soeben von ihrer Partnerin rekrutiert worden war.
Im September 2007 stand das Jubiläum der Firma an, die 1987 von den damals frischen Uni-Absolventen gegründet worden war. Die Chefinnen ließen im über zweitausend Quadratmetergroßen, parkähnlichen Garten der dreistöckigen, vielräumigen Villa, die am Rand des Grunewalds lag, eine Ansammlung von Zelten aufbauen, genau dort, wo wir im Sommer, Manuskripte, Übersetzungen oder Fahnen lesend, in Liegestühlen lümmelten und uns bei gutem Wetter mittags trafen, wenn Luigi oder der lustige, etwa achtzig Jahre alte Japaner, der kein Wort Deutsch konnte, die Essensbestellungen geliefert hatten.
Zwischen den paar riesigen Kiefern wurde außerdem eine Bühne aufgebaut, flankiert von großen Buffettischen, mehreren Bars und unserem mobilen Messestand, der die Spitzentitel des aktuellen Herbstprogramms und einige Longseller präsentierte. Fast ein bisschen versteckt, am Rand des Messestandes, hingen zwei gerahmte A3-Schwarzweißfotos der Verlagsgründer, und die daran befestigten schwarzen Bändchen flatterten traurig im lauen Wind des ansonsten ziemlich warmen Spätsommerabends.
Gegen neun am Abend betrat eine zierliche, um
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