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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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die Hüfte herum vielleicht einen klitzekleinen Hauch zu breite Frau, die kaum einen Meter sechzig groß war, diese Bühne, setzte sich hinter den Flügel, während am Schlagzeug ein Bandkollege Platz nahm, eine schlanke Frau mit Gitarre und ein außerordentlich schöner junger Mann, der einen E-Bass hielt, an ihre Positionen traten – und dann spielte Coras Band Ugly Carpet . Das zweite Album war soeben veröffentlich worden, es hatte die ersten Airplays von »Slow Love« gegeben, aber der kurze Höhenflug stand noch bevor – nur zwei Monate später hätte dieser Auftritt vielleicht den Etat gesprengt. Coras Stimme war nicht sehr voluminös, aber eindringlich, und sie trug den jazzigen Pop, den die Band spielte, auf exzellente Weise. In den Songs ging es um Liebe, außerdem Liebe und natürlich Liebe, wobei ich mir, in der zweiten Reihe stehend, gut vorstellen konnte, dass es für das kleine Persönchen mit den langen, bis zur Taille reichenden pfirsichblonden Haarenund den beeindruckend großen Augen wirklich kein wichtigeres, kein anderes Thema gab. Ich war nicht verzaubert, aber angetan wie viele um mich herum, die sich leicht im Rhythmus der simplen, durchaus nicht unkreativen Melodien wiegten und fasziniert die Energie der kleinen Frau in sich aufnahmen.
    Und dann bemerkte ich, dass sie, wenn sie vom Flügel aufblickte, häufig zu mir sah. Ich wechselte einige Male die Position im überschaubaren Publikum – vielleicht gute hundert Leute –, um den Eindruck zu überprüfen, aber nach einem kurzen Anflug von Irritation, meistens in den Pausen zwischen den Stücken, fand mich Coras Blick wieder, woraufhin der Hauch eines Lächelns in ihrem Gesicht erschien.
    Der Umgang mit Prominenten aller Kategorien war nichts Neues für mich – einige unserer Autoren turnten durch die Medien, ließen sich bei Talkshows befragen, waren Politiker, ehemalige Sportler, Schauspieler oder Moderatoren. Das Programm von Meggs & Pollend bestand aus einem echten Fachanteil, der vom Steuerrecht bis zur Wissenschaft fast alles abdeckte, und einem massentauglicheren, der sich vor allem aus Biographien, Reiseliteratur und pointierten Stellungnahmen zum Weltgeschehen zusammensetzte – unter anderem mein Spielfeld. Ich war also daran gewöhnt, mit Leuten Mittag zu essen, die von den Nachbartischen aus angestarrt und nicht selten um Autogramme oder gemeinsame Fotos gebeten wurden, doch den Reiz, mit einem Fuß in deren Rampenlicht zu stehen, verspürte ich nie – Prominenz ist ein radikaler Freiheitsmörder. Die meisten von ihnen waren ohnehin im Kern ziemlich schlichte Normalos, die nur in der Öffentlichkeit auf eine eher virtuelle Zweitexistenz umschalteten.
    Deshalb geriet ich auch nicht ins große Zittern, als ich lange nach der letzten Zugabe Cora neben mir wahrnahm, die an einem Champagnerkelch nippte und mich dabei zu beobachten schien, wie ich noch einen Klecks Krabbencocktailneben dem kalten Schweinebraten auf meinem Pappteller unterzubringen versuchte. Als sie bemerkte, dass ich sie ansah, erschien ein strahlendes Lächeln in ihrem Gesicht. Ein etwas jüngerer Kollege, der neben mir tollpatschig im Kaviar herumstocherte, bemerkte das Geschehen und warf mir neidvolle Blicke zu. »Großartige Show, hat mir großartig gefallen«, sagte er kläglich, aber die kleine Sängerin bedachte ihn nur mit einem kurzen Nicken.
    Wir plauderten, und ich wurde angemacht , auf sehr charmante, aber auch ziemlich direkte Weise. Während sie davon erzählte, erst vor vier Jahren aus einem Zwanzig-Häuser-Nest im Allgäu nach Berlin gezogen zu sein – sie sprach allerdings dialektfrei –, das Glück gehabt zu haben, gleichgesinnte Musiker zu treffen und so weiter und so fort, suchte sie aktiv meine Nähe, berührte mich wie zufällig, ließ zu, dass ihre fantastischen Haare über meinen Unterarm strichen, und folgte mit dem ihren jedem meiner Blicke, als gelte es, mir solche auf mögliche Konkurrenz zu verstellen – was kaum möglich war, denn ich überragte sie um fast zwei Köpfe. Währenddessen dachte ich darüber nach, ob etwas gegen einen One-Night-Stand mit der auf eigenwillige Weise hübschen, kleinen, langhaarigen und fraglos ziemlich begabten Sängerin sprach, fand nichts (ich war Single, mein letzter Sex lag ein halbes Jahr zurück, und Sandra, die bildschöne Empfangsmaus, ignorierte mich beharrlich) – und stieg ein. In der Nacht, die diesem Abend folgte, erlebte ich eine überwältigende, großzügige, fast umgehend enorme

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