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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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rückwärts, auf uns zu, in letzter Sekunde abgefangen, eine Vierteldrehung im Kanal, zielstrebiger Kollisionskurs mit dem anderen Ufer, wieder eine Drehung zurück – aber nach einigen weiteren Pirouetten verschwand das Charterboot endlich schlingernd hinter der Kurve. Wir lösten die Leinen, ich folgte vorsichtig. Als die große Schleusenkammer, die teilweise unter einer Brücke lag, in Sicht kam, galt das außerdem für das Dickenboot, das derzeit wie ein schlecht programmierter Roboter mehrfach gegen das andere Schleusentor schlug. Hinter uns kam niemand, also fuhr ich ein, und wir legten in sicherer Entfernung an. Zum Glück gab es auch im hinteren Bereich Signalhebel, so dass wir die Schleusung anfordern konnten, obwohl vorne noch tumultiges Durcheinander herrschte. Ich stellte mir vor, wie der weitere Urlaub der Familie dieses Grobmotorikers verlaufen würde, gab den Gedanken aber gleich wieder auf.
    Satte vier Meter Hub hatte diese – aber nur fünfundzwanzig Meter lange – Schleuse, wodurch wir während der folgenden Minuten langsam an Stahlwänden hinunterglitten, die schließlich doppelmannshoch neben uns aufragten, es wurdedunkler und sogar ein bisschen kühler. Es war noch zu einem kleinen Zwischenfall gekommen, weil der Skipper vor uns seine Leine auf Henner-Art befestigt hatte, aber nachdem das Heck seines Schiffs schon einen halben Meter Schlagseite hatte, löste sich die Leine plötzlich, und der Rumpf kam schaukelnd wieder ins Gleichgewicht. Die Frau rief irgendwas, das ich nicht verstehen konnte, aber sicherlich handelte es sich kaum um Lob oder Dankesreden für die seemännischen Künste des Stringträgers am Steuer.
    Wir ließen das Chaosboot vorerst hinter uns und durchfuhren den unspektakulären Teil des Ortes, den man vom Wasser aus sehen konnte, und eine weitere Brücke, kurz darauf entdeckte ich rechts eine Anlage, die ich für den Stadthafen hielt – inzwischen verstand ich die informationsüberlastete, aber äußerst hilfreiche Gewässerkarte etwas besser. Von einem längeren Steg legte ein weiterer Ausflugsdampfer zügig ab, das Röhren seines Diesels war bis zu unserem Boot zu hören, und ich begann für die Skipper dieser Töpfe eine ähnliche Ehrfurcht wie für LKW-Fahrer zu entwickeln. Selbst mit dem kleinen, vier Jahre alten kirschroten (Coras Idee) Audi, den ich besaß, fiel es mir nicht selten schwer, präzise Manöver – vor allem rückwärts – zu fahren, aber die Brummifahrer mit ihren anhängerbewehrten Vierzigtonnern beherrschten Stunts, die mich nicht selten fassungslos machten.
    Einige Boote hatten festgemacht und schaukelten träge im lauen Wind, aber es gab noch reichlich Platz – also hielt ich auf die Stege zu. Eine Frau in einem weißen Kittel erschien in der Tür einer holzgezimmerten Hütte, polterte über die Steganlage in unsere Richtung (Clogs? Eine Krankenschwester ?) und begann damit, uns zuzuwinken – ich winkte höflich zurück. Das System, nach dem man sich hier fortwährend grüßte, erschien mir rätselhafter als die Karte – manch ein Bootsführer winkte, als gäbe es dafür Zusatzpunkte, andere aber ignorierten jeden Versuch stoisch. Doch sie grüßte überhauptnicht, sondern wollte mir verdeutlichen, wo ich den Pott hinzusteuern hätte, nämlich an einen seitlichen Steg, der nicht sehr lang war und gefährlich nahe am seerosenüberwucherten Ufer lag. Mark schlich, mit hängenden Schultern und offenbar jede Bewegung verteufelnd, zum Bug, Henner setzte sich auf die Heckterrasse und spielte gedankenverloren mit dem Ende der Leine. Simon war unter Deck und machte irgendwas, vielleicht heimlich telefonieren.
    Wir waren kurz davor, mit nahezu vollendeter Eleganz seitlich an den Halteplatz zu treiben, als hinter uns ein bekanntes Motorengeräusch erklang, aufjubelnd, weil der Rudergänger mal wieder – unnötigerweise – den Gashebel auf Anschlag geschoben hatte. Mit reichlich überhöhter Geschwindigkeit schoss das Schiff kurz darauf an unserem Heck vorbei, und zwar auf der Seite, die dem Steg zugewandt war, also genau in die Lücke zielend – ich nahm allerdings kaum an, dass es gezielt war –, die sich gerade gemächlich schloss. Es war ein wenig wie in diesem älteren Bond-Film (»Octopussy«? »Moonraker«?), bei dem es eine Boots-Verfolgungsjagd durch Venedig gegeben hatte. Irgendwann war eines der Motorboote zwischen zwei mächtigen Frachtern hindurchgerast, die sich währenddessen näher kamen – kurz vor Ende der Durchfahrt wurde es

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