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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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er sogar vorRührung. »Danke, danke, danke«, wiederholte er. Und: »Tut mir leid. Tut mir schrecklich leid. Ich hoffe, es ist nichts kaputtgegangen.«
    Auch die Krankenschwester kletterte an Bord und musterte sein Fahrzeug.
    »Heckel-Boote, aha. Mal wieder ohne Chartereinweisung, oder?«
    Jetzt blinzelte der Mann. Er kletterte mühselig zu seinem Boot, fuhrwerkte am Steuerstand herum, kehrte zurück und hielt ein graugrünes Etwas hoch, das im leichten Wind flatterte. »Bundesrepublik Deutschland« stand gut lesbar darauf, begleitet von einem Siegel mit Adler und der etwas größeren Aufschrift »Sportbootführerschein Binnen«.
    »Den habe ich im vergangenen Jahr gemacht«, erklärte er kleinlaut. »Und beim ersten Mal bestanden.«
    »Den besteht jeder «, ätzte die Frau, eine braungebrannte Endfünfzigerin mit getönten roten Haaren, schmalem Mund, blutleeren Lippen und eingefallenen Wangen. Sie trug tatsächlich Clogs beziehungsweise ein Äquivalent aus solidem Plastik. »Lottoscheine auszufüllen ist komplizierter. Wie viel Praxis hatten Sie? Zehn Minuten? Und auf was für einem Schiff? Einem Schlauchboot ?«
    Er antwortete nichts, wahrscheinlich hatte sie ins Schwarze getroffen.
    »Es macht mich immer wieder fassungslos. Ehrlich«, fuhr sie fort. »Leute fahren mit großen Wasserfahrzeugen los und haben nicht die geringste Ahnung, bereiten sich nicht vor, und dann havarieren sie.« Sie legte mir eine knochige Hand auf die Schulter. »Nehmen Sie sich ein Beispiel an diesem jungen Mann hier.« Ich strahlte. Junger Mann. »Wie der reagiert hat. Wie er schon hergesteuert hat. So muss das gehen.« Sie knetete mit ihrer Hand meine Schulter, was das Maß an zulässiger – wenn auch bemutternder – Intimität deutlich überschritt. Ich wand mich unter ihrer Berührung weg und sagte:»Immerhin, ist ja auch schon mein dritter Tag auf dem Wasser. Und praktisch ohne Chartereinweisung.« Dabei grinste ich, stolz auf uns und den riesigen Pott, auf dem wir standen.
    Sie blickte mich kurz irritiert an, dann trat plötzlich etwas Geschäftsmäßiges in ihre Mimik.
    »Wie lange bleibt ihr?« Sie ratterte die Preisliste für einstündige Aufenthalte, Übernachtungen, Fäkaltankentleerungen, Frischwasser, Strom, Klogänge und Duscheinheiten herunter wie eine amerikanische Kellnerin, die das Mittagsmenü erklärt. Wenn wir alles nähmen, wären wir morgen pleite, schätzte ich.
    »Keine Ahnung«, sagte Jan-Hendrik. »Das müssen wir noch klären.«
    »Aber bald«, sagte die Frau. Sie warf mir noch einen seltsamen Blick zu und verschwand.
    In diesem Augenblick platschte etwas am Stegende hinter uns. Blasse Hände erschienen an der Leiter, die dort befestigt war, kurz darauf zog sich, schwer keuchend, das Kind der beiden hoch. Die Mutter schlug die Hände vors Gesicht.
    »Großer Gott!« Sie rannte los, hatte aber noch Zeit, ihrem Mann einen mehr als vernichtenden Blick zuzuwerfen. »Finn-Lukas! Finn-Lukas!«, rief sie rennend. »Großer Gott. Junge. Ist dir was passiert?«
    Das Kind schüttelte kurz den Kopf, aber es zitterte stark – vermutlich aus abklingender Todesangst, denn die Luft hatte fast dreißig Grad. Dann drückte es die schlotternden Schultern durch, kletterte schweigend, aber sichtlich geschafft auf unser Boot, auf das vordere Kabinendach, wo mit hängenden Schultern der erschütterte Vater stand. Der Junge ging auf die Zehenspitzen – und scheuerte dem dicken Mann, der sich eigentlich für eine Umarmung bereitgemacht hatte, eine. Es war kein kräftiger Schlag, und er traf auch nicht richtig, aber verursachte erkennbar größere Schmerzen als unter Einsatz eines machtvoll geschwungenen mittelalterlichen Morgensternserreichbar gewesen wären. Der ohnehin geknickte Mann sank in sich zusammen, brach abermals in Tränen aus. Henner lupfte ein Badehandtuch von der Reling und legte es dem bibbernden Jungen über die Schultern, dann rubbelte er ihn mit seinen mächtigen Pranken; das Kind sah ihn dankbar an. Fast achthundert Meter weit war es geschwommen – beinahe die ganze Strecke von der Schleuse hierher. Kurz dahinter hatte die Familie angehalten, illegal an einem abgesperrten Privatanleger, wie sie bald bemerkten. Und den Papa Stringtanga natürlich mit Maximalbeschleunigung verlassen hatte, nicht an das Kind denkend, das am Heck auf der Badeplattform saß und keine Gelegenheit mehr fand, sich irgendwo festzuhalten, denn es war gerade brav dabei, die eingeholte Leine aufzuwickeln, als Väterchen Vollgas auf Warp 9

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