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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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eingeklemmt und explodierte selbstverständlich. Das tat schließlich jedes verunfallte Fahrzeug in einem Bond-Film.
    Das kleine Hausboot explodierte nicht , aber etwas in mir hätte sich diesen Ausgang gewünscht. Ich stoppte auf, ohne jede Hektik, denn eine andere Option hatte ich kaum, außerdem presste ich den rechten Knopf fürs Bugstrahlruder kräftig hinunter, als würde mehr Kraft auch mehr Wirkung erzielen. Doch die Dahme reagierte zu langsam (Gedankennotiz an Simon: das Bugstrahlruder tunen), der Winkel war viel zu spitz. Es gab ein lautes, quietschendes Knirschen, der Steg schwankte stark, ein Fender am Bug unseres Schiffes wurde in dieHöhe geschleudert, die Krankenschwester ging in die Hocke, um ihren Schwerpunkt zu verlagern und nicht ins Wasser geschubst zu werden, und die dicke Bikinifrau sprang kurzerhand – und applausverdächtig behände – auf die Stegplanken, weil es sie sonst sicher von Bord gehauen hätte. Dann stand das Plastikschiff ruckartig. Der Motor jaulte nach wie vor wie ein frisierter Rasenmäher, denn den Mann am Steuer hatte es aus dem Sitz geworfen, aber bevor er zum Gashebel hechten konnte, um in den Leerlauf zu schalten, kam sein Boot wieder frei, weil unser Bugstrahlruder endlich Wirkung zeigte. Der Kahn machte einen Satz, durchpflügte die Seerosen und verschwand – begleitet von Knacks- und Knirschgeräuschen, die vom Johlen des überforderten Antriebs aber akustisch beiseitegeschoben wurden – beinahe vollständig im dahinterliegenden Gebüsch. Das blasse Kind war nicht zu sehen, aber ich hoffte, es hielt sich gut fest.
    Schließlich, nach einer kurzen Atempause, bewegte sich das Heck wieder auf uns zu.
    »MACH LANGSAM!«, brüllte Mark. »Nur wenig Gas geben, du Vollhorst! GANZ WENIG!« Er dreht sich zu mir um und tippte sich dabei an die Stirn, aber schon das Gebrüll hatte ihn abermals geschwächt. Er schwitzte, was ich bisher noch nicht an ihm beobachtet hatte.
    Tatsächlich bemühte sich der Mann, ausnahmsweise nicht Vollgas zu fahren. Aber er konnte immer noch nicht zielen, vor allem natürlich nicht rückwärts. Das Heck drehte leicht zur Seite – nach steuerbord –, also würde er in geschätzt zehn Metern Entfernung einfach wieder im Uferbewuchs landen, nur eben mit dem Hinterteil voran.
    »Leine! Wirf eine Leine!«, krächzte Mark.
    Da wir noch nicht festgemacht hatten, konnte ich manövrieren, drückte den anderen Knopf fürs Bugstrahlruder. Begleitet vom Kaffeemühlengeräusch, kam unser Bug dem Heck des anderen Kahns näher. Der Stringträger sah sich suchendum, das Gesicht von Panik verzerrt, mit den Nerven völlig am Ende, legte den Gashebel in die Leerlaufposition – immerhin! – und kletterte hektisch zwei Stufen der Heckleiter hinunter. Dann nahm er eine Leine und warf sie in Marks Richtung. Schon beim fünften Versuch traf er auch – kurz bevor sein noch treibendes Schiff außer Reichweite geriet.
    Also legte ich zwei Schiffe an, unseres und das wilde Ganzrumpftorpedo, das Mark und Henner längsseits befestigt hatten. Hätte mir jemand vor drei Tagen erklärt, dass ich irgendwann in meinem Leben mehrere Tonnen Boot, auf Wasser gelagert und nur schwer zu steuern, im Doppelpack an einen Steg bringen würde, hätte ich denjenigen gefragt, ob er bitte auch sein Testament zu meinen Gunsten ändern würde, denn es hätte sich nur um einen komplett durchgeknallten Spinner handeln können.
    Der Mann kletterte mühselig zu uns herüber, ich ging aufs Vordeck und war mit dem nahen – viel zu nahen – Anblick seines Badehosenimitats konfrontiert. Aber wir alle vier – Simon war an Deck gekommen – blinzelten, in Richtung seines von einem schwarzen, streichholzschachtelgroßen Fetzen bedeckten Gekröses starrend, um das herum sich graubraune Schamhaare hervorkräuselten, was er selbst wahrscheinlich nicht sehen konnte, denn sein Blick war unüberwindbar vom Hügel verstellt, den sein klischeehafter Bierbauch bildete.
    Der Mann schwitzte, ganze Schweißfluten flossen aus den spärlichen Kopfhaaren, rannen übers Gesicht, den Hals entlang, über Brust, Bauch, Arme und Beine. Ein unterbrechungsfreier zweistündiger Saunagang hätte kein ähnliches Ergebnis gezeitigt. Außerdem steckten kleine Äste und Blätter in seinen verschwitzten Haaren, an den Schultern bluteten harmlose Wunden vor sich hin.
    »Ich danke euch. Vielen Dank. Danke.« Dabei griff er beidhändig nach jedem von uns, und als ich meine Hand von seiner getränkten Pranke schütteln ließ, weinte

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