Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
umschaltete.
Wir beschlossen, es ruhig angehen zu lassen, die Tanks aufzufüllen bzw. zu entleeren, Landstrom zu nehmen (»Landstrom!«, freute sich Mark, schlurfte zum Heck, zog das Kabel auf den Steg und stöpselte uns ein – dabei hatte er überhaupt kein Elektrogerät dabei, von seinem Telefon abgesehen, das er am zweiten Tag demonstrativ abgeschaltet hatte), uns ein wenig zu sonnen, ein Süppchen zu essen – Henner holte tatsächlich einige der vor drei Tagen noch schwer verachteten Suppentüten hervor –, vielleicht Landgang zu nehmen, abends irgendwo einzukehren (Simon: »Aber ohne Alkohol!«), also hier zu übernachten. Henner wanderte zum Hafenmeisterkabäuschen, erledigte die Formalitäten. Danach halfen wir der dicken Familie, ihr Boot um unseres herumzuziehen und auf der anderen Seite des Stegs festzumachen. Die Persenning über dem Steuerstand war mehrfach eingerissen, links am Bug gab es dicht über der Wasserlinie eine mächtige, eingedellte Schramme, aber es schwamm noch, und das war schließlich das Wichtigste. Immerhin – an der Dahme war kein Schaden zu erkennen, trotz allem. Nur der Fender, denes vorne hochgeschleudert hatte, wies einen langen Riss auf, wodurch er schlaff, wie ein gebrauchtes, übergroßes Kondom, an der Seite hing.
Wir faulenzten – Mark unter Deck, Henner und ich nebeneinander auf dem Vorschiff liegend, nur Simon kletterte aufs Boot der Havaristen, redete eine Weile auf den immer noch erschütterten Vater ein, um dann kurze Zeit später dessen Boot aus dem Hafen zu steuern, in Richtung des Templiner Sees, an dessen Südostufer wir zwar lagen, der sich aber erst in etwa zweihundert Metern Entfernung zu einem See verbreiterte, der diese Bezeichnung auch verdiente. Das Boot verschwand bald aus meinem Blickfeld, ich schloss die Augen und döste, dachte wieder an die Dunkelblonde aus der Schleuse, die Brautjungfer von gestern Abend, an Cora und schlief schließlich ein.
Ich erwachte, als ein Boot neben uns anlegte, gesteuert vom Stringtanga-Kinderversenker, der inzwischen ein rosafarbenes T-Shirt angezogen hatte. Es war kein präzises, schulmäßiges Manöver, das er hinlegte, aber er fuhr angemessen langsam, zielte vergleichsweise sorgfältig, setzte Bugstrahl und Ruder sinnvoll ein. Es gab, vom Motor abgesehen, kein Geräusch, als der Kahn den Steg berührte und in akzeptabler Position seine Bewegung beendete. Der Mann am Steuer grinste wie ein Kind an Weihnachten, Simon legte ihm eine Hand auf die trotz Shirt nasse Schulter, ich applaudierte. Der Fahrschüler deutete eine Bewegung an, offenkundig unschlüssig, dann machte er einen Schritt auf unseren Kettenraucher zu und umarmte ihn herzlich. Simon ließ es lachend über sich ergehen, »Dresden 1945« schimmerte grau im Sonnenlicht. Anderthalb Stunden hatte die Fahrschule gedauert, verriet meine Uhr.
»Wir sind zum Abendessen eingeladen«, erklärte der Fahrlehrer, als er wieder an Bord kam. »Ich habe zugesagt.«
Ich nickte, fühlte plötzlich eine lässige, vertraute Ungezwungenheit, die ich zuletzt bei einem verregneten Campingtrip als Oberschüler verspürt hatte. Klar, gingen wir halt essen mit denen. Machten wir irgendwas. Spielte keine Rolle. Urlaub.
Henner war wohl unter Deck, neben mir lag das in blaue Folie eingeschlagene Buch, und ich konnte einfach nicht widerstehen, außerdem war ja wohl kaum etwas dagegen zu sagen, mal einen Blick hineinzuwerfen, solange es nicht um die privaten Aufzeichnungen seiner Ehefrau ging. Es handelte sich um Christopher Hitchens’ »Der Herr ist kein Hirte«, die äußerst harte, vernichtende Abrechnung des Journalisten mit den Religionen, brillant geschrieben und auf überwältigende Weise entlarvend. Ich kannte den Text, ein britischer Kollege hatte mir kurz nach dem Erscheinen dort die englische Fassung (»God is not great«) gemailt, aber bevor ich Meggs den Vorschlag unterbreiten konnte, ein Angebot abzugeben, war die deutsche Lizenz bereits verkauft worden.
Gut, es sprach für einen Kirchenmann, sich auch die Gegenseite anzuhören und damit für Diskurse zu wappnen, denn wer die Konkurrenz nicht im Auge behält, wird einfach von ihr überrannt, aber diese Spekulation über seine Intentionen wurde sofort falsifiziert, als jetzt Henners Gesicht neben mir auftauchte und ohne jeden Zweifel peinliches Ertapptsein visualisierte.
»Gutes Buch?«, fragte ich mit einem scheinheiligen Lächeln.
»Geht so«, antwortete er, sofort erkennbar erleichtert darüber, dass ich
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