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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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augenscheinlich nicht kapiert hatte, um was für ein Buch es sich handelte. Er nahm mir das Folienpaket sanft, aber bestimmt aus der Hand und drapierte es zwischen seinen Oberschenkeln, nachdem er im Schneidersitz Platz genommen hatte.
    »Um was geht es?«, fragte ich.
    Er runzelte die Stirn. »Religion.« Und dann, nach einer kurzen Pause: »Natürlich Religion.« In sein Gesicht trat für einen Moment ein leicht verzweifelter Ausdruck, dann entspannte er sich wieder.
    »Nicht mein Thema«, sagte ich noch. Henner nickte nur langsam, den Blick aufs Ufer gerichtet, wo ein paar Kinder fröhlich schreiend darum stritten, einen Bollerwagen mit Proviant zu ziehen.
    »Fäkalien und Frischwasser, richtig?«, fragte eine Frauenstimme von der Seite – die Hafenschwester. Sie hielt ein flexibles, geriffeltes, blaues Plastikrohr in der einen und einen gelbgrünen Gartenschlauch in der anderen Hand, beide in Gummihandschuhen. Am Ende des Rohrs befand sich eine Art Tülle, ein durchsichtiger, kegelförmiger Adapter mit einem seitlichen Hebel. Ich nahm ganz leichten Verwesungsgeruch wahr, wie auf dem Klo einer 24-Stunden-Kneipe. »Da ist der Hahn, hier steht die Pumpe«, erklärte sie, auf die entsprechenden Gerätschaften auf dem zentralen Steg zeigend. »Sagt mir Bescheid, wenn ihr fertig seid.« Dann grinste sie in meine Richtung. »Ihr könnt das ja sicher, oder?« Mir blieb nichts übrig, ich musste nicken.
    Frischwasser war einfach. An Backbord, im Boden des schmalen Gangs, der an den Kabinen vorbeiführte, befanden sich zwei blaue Verschlüsse mit der geprägten Beschriftung »Water«, die sich leicht öffnen ließen. Henner hängte den Schlauch in einen davon, Mark drehte den Hahn auf, es gluckerte leise. Simon betrachtete erst das flexible Rohr und suchte dann die andere Bootsseite ab.
    »Was bedeutet Waste?«, fragte er, das Wort auf Deutsch aussprechend, wie Paste, nur mit W.
    Ich wiederholte es auf Englisch. »Müll, Abfallstoffe«, ergänzte ich.
    »Dann ist hier was.« Die Stelle lag der fürs Frischwasser genau gegenüber.
    Wir zerrten das knatternde Rohr über das Vordeck, Simon öffnete den hier etwas komplizierteren Verschluss, und sofort verdrängte der Dampf von uringetränkter Kacke, gemischt mit Abwasser aller Art, den sommerlich-herben Duft des Sees. Mark blinzelte, die Nase gerümpft, aber Simon stopfte einfach den Adapter in die Öffnung, bog den Hebel nach hinten und winkte dann. Henner, der in zehn Metern Entfernung an der Pumpe stand, tastete dort eine Weile herum, immer abwechselnd zu uns und zu den Kontrollen blickend, schließlich kam Bewegung in das Rohr, ich hob einen Daumen. Es begann sich wie eine Schlange zu winden, deren Kopf man festhält. Und dann tauchten die ersten Fäkalien im transparenten Adapter auf, dem Rhythmus der Pumpe Folge leistend.
    »Schon ein bisschen eklig«, sagte Mark.
    Simon zuckte die Schultern. »Nicht viel ekliger als das, was du auf einem Kneipentresen nachts um drei vorfinden würdest, hättest du ein Mikroskop dabei. Nur in etwas höherer Konzentration. Wenn du dich drauflehnst, hast du genau das hier an den Unterarmen.« Er wies auf den gurgelnden Abwasserstrom.
    Ich blickte ihn überrascht an, dachte an die Waste-Paste-Sache von eben. Konnte es sein, dass sich der Mann manchmal absichtlich dumm stellte? Und wenn ja – warum? Er warf mir ebenfalls einen kurzen Blick zu, in seinen hellen Augen blitzte etwas auf, das ich nicht einordnen konnte. Es war, als hätte mich für einen Moment ein zweiter Simon angeschaut, der im anderen verborgen war.
    Dann wartete ich mit den anderen auf die unausweichliche Katastrophe, die demnächst eintreten würde. Vor meinem geistigen Auge sah ich das wild herumtanzende Rohr, Scheiße und Pisse versprühend, sich wie ein Hochdruck-Feuerwehrschlauch jedem Bändigungsversuch widersetzend. Aber nichts dergleichen geschah. Der Fäkalienfluss versiegteirgendwann, wir ließen die Pumpe noch eine halbe Minute laufen, dann schaltete Henner ab.
    »Das Boot ist undicht«, rief Mark kurz darauf. Er stand an Backbord und sah nach unten zum Wasser. Das Plätschern, das von dort kam, hörte ich auch.
    »Das ist der Überlauf«, sagte Simon, zündete sich eine Zigarette an, sprang vom Boot und drehte den Wasserhahn zu.
    »Ach so«, murmelte Mark währenddessen und zog eine Augenbraue hoch. »Stimmt. Würde ja auch kein Wasser raus, sondern reinlaufen.« Er zwinkerte mir zu, ich war gespannt, ob eine noch idiotischere Mitteilung folgen würde, aber

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