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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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auf Kabinendach und Vorschiff wurde zu einem flächigen, lautstarken Knattern, aber schon den Bug oder gar das Boot vor uns konnte ich kaum noch erkennen. Durch die Hecktüren wehte es kühl herein, durchaus angenehm, denn es war immer noch ziemlich heiß. Sturzbäche flossen die Seitenfenster hinunter, nur die Frontscheibe blieb weitgehend klar, denn sie war erstens nach innen geneigt, und zweitens kam der Regen offenbar schräg von hinten. Mehr sehen konnte ich dadurch aber auch nicht. Eben noch von mehr als zwanzig Booten umgeben, waren wir plötzlich wieder allein.
    »Ist das Schiff eigentlich wasserdicht?«, fragte Finn-Lukas.
    »Natürlich«, erklärte Henner sofort, bis er verstand, wonach der Junge tatsächlich gefragt hatte. Er zwinkerte. »Äh, du meinst, ob das Wasser auch wieder abläuft, das jetzt reinkommt?«
    Der Junge nickte.
    Die Frage war so schlecht nicht. Die Ränder der schmalen seitlichen Außengänge wurden zwar von kleinen Aussparungen unterbrochen, die auch bei meiner Eintagsfliegen-Aktion das Wasser hatten ablaufen lassen, aber schon bei der Heckterrasse, deren Möblierung soeben grundgereinigt wurde, verhielt es sich anders – dort befanden sich definitiv keine Abläufe, jedenfalls keine sichtbaren. Allerdings – irgendwas musste es geben. Schließlich hatte niemand bei der Einweisung gesagt: »Fahrt bei Regen bitte umgehend in die nächste Garage.«
    »Im Rumpf ist eine Pumpe«, sagte Henner dann, erkennbar seinen eigenen Worten wenig Glauben schenkend. »Die pumpt das Wasser ab, das hereinfließt.«
    »A-ha«, sagte Finn-Lukas und sah sich auf dem Kabinenboden um, als müsse es dort Zeichen dieser ominösen Pumpe geben.
    Hinter uns ertönte ein Signal – stimmt, das bisschen Boot, das ich bis dato vor unserem Schiff gesehen hatte, war verschwunden, und war das nicht ein grünes Flackern, das da irgendwo seitlich schimmerte? Aber wie zur Hölle sollten wir bei diesem Wetter die verdammte Schleuseneinfahrt treffen?
    Mark streifte Shirt und Shorts ab, stand mit einem Mal einfach nackt vor uns, hob kurz grinsend die Hände und kletterte nach vorne. Er war gerade noch zu erkennen, ein verwaschener, weißgrauer Schatten, halb gebückt rechts am Bug. Henner entledigte sich seufzend seines Hemdes, behielt aber die Seglershorts an und ging zum Heck. Ich startete den Motor, klappte die rechte Frontscheibe hoch, um Mark wenigstens hören zu können. Sofort entstand starker Durchzug im Boot, es wurde vernehmlich kühler.
    »Vorne ist frei«, rief der nackte Mark. Ich sah kurz zu Henner, der nickte. »Langsam nach links.«
    Das war fast noch gruseliger als unser Nachtmanöver am ersten Abend, zumal sich andere Boote und beängstigende Anlagen – etwa ein sprudelndes Wehr – in unmittelbarer Nähe befanden, aber außer jeder Sicht. Zudem war es bis auf das Knattern des noch stärker werdenden Regens still, aber wie zum Hohn donnerte es jetzt wieder für fünf Sekunden, ohne dass vorher ein Blitz zu sehen gewesen war. Ich versuchte, mich zu erinnern, ob ich Niederschlag von ähnlicher Intensität je erlebt hatte, kam jedoch zu keinem Ergebnis.
    »Wir dürfen auch am Tag eigentlich nur bei ausreichender Sicht fahren!«, rief Henner jetzt.
    Ich warf ihm einen Blick zu. Das hättest du vor einer halben Minute sagen können.
    »Weiter links, glaube ich«, kam von Mark. »Und ein bisschen Gas geben.«
    Etwas Dunkles tauchte hinter ihm auf, aber es handelte sich nicht um das Schleusentor, sondern um eine Wand – nur: die links oder die rechts von der Schleuse? Ich stoppte hektisch auf, fast hennermäßig.
    »Etwas zurück! Und weiter nach links!«
    »Ist hinter uns jemand?«, rief ich in Henners Richtung.
    »Ich sehe nichts.«
    Eine Ewigkeit später schien sich tatsächlich das offene Tor vor uns zu befinden. Es gab einen leichten Schlag von rechts, das Geschirr in den Schränken klapperte, dann zog direkt hinter Mark ein einsamer Metallpfeiler langsam vorbei. Finn-Lukas, der neben mir, jenseits der Treppe nach unten, auf der Lehne einer Bank kniete, warf mir einen sorgenvollen Blick zu. Das, besagte dieser Blick, hätte er mit seinem Vater auch haben können.
    Wir fuhren tatsächlich mit Mindestgeschwindigkeit in die Schleusenkammer – die offenbar leer war, denn wir erreichten das gegenüberliegende Ende, ohne dass dort der Schatten eines anderen Bootes auftauchte. Aber wohin waren dann dieBoote verschwunden, die vor uns gelegen hatten? Hatten dort überhaupt welche gelegen? Und warum hatte die

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