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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Wetter war. Wäre schwer gewesen, das hier« – er vollführte eine alles umfassende Geste – »jemandem vom Schifffahrtsamt zu erklären.«
    Jetzt nickte ich auch. Mark murmelte nur: »Beschissenes Wetter.« Wahrscheinlich hatte er überhaupt nicht mitbekommen, dass es auch außerhalb seines Schädels Nebel und Nieselregen gegeben hatte.
    Nach dem Kaffee kletterte Herbert über die Badeleiter am Heck in den See und verschwand für geschlagene anderthalb Minuten unter Wasser. Wir standen auf der Terrasse und starrten ihm hinterher. Wahrscheinlich dachten wir alle dasselbe: In diesem Alter will ich auch noch so drauf sein.
    »Ihr habt das Ruderblatt zerlegt«, erklärte er prustend, als er wieder auftauchte. »Es ist verbogen, und ihr habt es sogar geschafft, ein Stück abzubrechen. Reife Leistung.«
    »Können wir noch fahren?«, fragte ich.
    »Mmh-mmh«, machte Herbert. »Schon möglich. Aber der Kahn muss eigentlich in die Werft.«
    »Werft«, wiederholte Mark.
    Henner holte seine Brieftasche, öffnete sie und starrte hinein.
    »Ich würde Ihnen gerne etwas geben. Aber wir sind bestohlen worden.«
    Der Segler zog eine Augenbraue hoch. »Bestohlen, so so. Piraten auf dem Zierker See.« Er grinste. »Wenn du noch einmal Sie zu mir sagst, verlange ich wirklich was.«
    »Wir müssen uns aber irgendwie erkenntlich zeigen«, sagte ich. »Schließlich hast du uns einen Tag deiner kostbaren Zeit geopfert.«
    »Erzählt mir einfach, was wirklich passiert ist«, sagte Herbert und zwinkerte mir zu. »Dann überlege ich mir, ob ich was verlange.«
    Also taten wir das, beim zweiten Kaffee und Toastbrot mit Nutella. Mark aß äußerst langsam, mit nachdenklichem Gesichtsausdruck, als würde er in sich nach Anzeichen für irgendeine Reaktion suchen. Seine Blässe ähnelte Henners vom ersten Tag, aber die Haut des Pfarrers hatte tatsächlich bereits eine leichte Färbung angenommen.
    Herbert nickte nur, als Henner geendet hatte.
    »Reife Leistung«, sagte er abermals. Dann lachte er, kletterte auf sein Rennboot, ließ den Motor aufheulen und schoss davon, eine steile Fontäne hinter sich herziehend.

    Verblüffenderweise stand der Tisch wie gehabt auf dem rostigen, jetzt einsamen Steg, und sogar unser Klapprad lag noch da. Die Uhr zeigte halb neun.
    »Du musst Simon holen«, erklärte Henner und reichte mir seinen Ausweis. Das Foto darauf war gut und gerne zwanzig Jahre alt, und es überraschte mich, denn der leicht unscharfe Henner von vor zwei Dekaden wies tatsächlich Ähnlichkeiten mit Simon auf: strubbelige Haare, etwas gelockt, ein wissendes, fast schelmisches Grinsen. Man durfte nur nicht auf die im Dokument angegebene Körpergröße achten: »198 cm« stand da. Immerhin auf der Rückseite.
    »Simon wird schon eine Ausrede dafür finden«, sagte Henner, der mir zugeschaut hatte. »Falls sie es überhaupt bemerken.«
    »Und woher weiß Simon davon?«
    »Dass wir uns auf dem Foto ähnlich sehen? Das ist mir irgendwann aufgefallen, als es losging mit unserer Badmintonrunde. Da habe ich ihm meinen Ausweis gezeigt.«
    Mark bot an, mich zu begleiten, aber Henner machte eine abwehrende Handbewegung: »Wenn du mitgehst, nehmen sie dich fest.«
    Ich bestieg das rostige Mädchenrad und ließ mich von meinem Smartphone zum Polizeirevier navigieren, was nicht ganz leicht war, denn ich hatte auf den ersten paar hundert Metern echte Schwierigkeiten damit, das Gleichgewicht zu halten.

    Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie ein Polizeirevier betreten und erwartete eine archaische, angsteinflößende Inneneinrichtung, die jedem Verbrecher klar mitteilte: Hier werden wir deine Eier hart kochen. Glänzende, massive Gitterstäbe, hinter denen die Delinquenten in gefliesten, schmucklosen, permanent überwachten Zellen auf knarrenden Pritschen hocken, neben Edelstahlkloschüsseln, mit Metallbechern in den Händen, aus denen sie das Wasser zum Brot trinken.
    Tatsächlich war die Polizeistation schlicht ein Amt , das noch leichtes DDR-Aroma verströmte, verstärkt durch die Hitze des sehr sommerlichen Morgens. Ein paar transpirierende Beamte in Uniformen und in Zivil schlurften umher, meistens mit Kaffeetöpfen in den Händen, etwa zur Hälfte beschnurrbartet – weibliche Beamte sah ich nicht. Simon saß auf einer Bank im Gang, die Hände zwischen den Oberschenkeln gefaltet, und sah mich mit einem traurigen Grinsen an, als ich auftauchte. Er rauchte nicht, aber der Wunsch, eine Zigarette zu inhalieren, war ihm quasi auf die Stirn

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