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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Replik über kostbare Zeit und atmete dankbar auf. »Super. Danke. Bis morgen früh.«
    »Macht rechtzeitig Kaffee, ihr Landratten.« Dann legte er auf.
    »Herbert hilft uns. Morgen«, sagte ich zu Henner. »Aber wir müssen die Bilgepumpe suchen.«
    »Schon gefunden. Wir sitzen drauf.«
    Unter dem Tisch, den wir in den Salon räumten, wo genug Platz war, weil der dortige Tisch ja fehlte – ob der noch auf dem Steg stand? –, lag eine Klappe. Es war gut zu erkennen, dass sich mehr Wasser im Rumpf befand als hineingehörte.Über der Pumpe selbst war eine längere, grauweiße Kunststoffflasche montiert, eine Art Schwimmer, der von zwei leeren Ouzoflaschen blockiert wurde. Wie zur Hölle waren die hier hineingeraten? Ich zog sie heraus, die Pumpe setzte mit einem sonoren Brummen ein, kurz darauf plätscherte es hinter uns.
    »Wir sollten den Motor laufen lassen, sonst leert die Pumpe unsere Batterien«, sagte Henner. Ich nickte und schaltete die Maschine ein. Anschließend setzten wir uns wieder auf die Klappe über der Pumpe, betrachteten die Skyline von Neustrelitz und lauschten auf die plätschernde Kieljauche. Fast unmerklich hob sich die Backbordseite der Dahme , doch es dauerte über eine Stunde, bis das Boot einen Hauch gerader lag. Wir stiegen abermals ins Flachwasser, aber es war noch immer aussichtslos, den Kahn anzuschieben. Also setzten wir uns wieder und glotzten weiter schweigend auf den See.
    »Ich weiß«, sagte Henner irgendwann, den Blick auf die Frontscheiben geheftet. »Wir haben gesoffen, sogar Kokain genommen – das war doch Kokain?« Ich nickte. »Und wir haben mit Prostituierten Sex gehabt. Nichts, worauf man stolz sein muss. Unter anderen Bedingungen, unter normalen Bedingungen hätte ich so etwas nicht im Traum getan. Aber ich bereue es trotzdem nicht. Mir tut alles weh, mein Verdauungstrakt rumort, und mein Glied brennt.« Er lächelte, ein bisschen verschämt. »Dennoch. Ich habe mich auf seltsame Weise lebendig gefühlt, obwohl das widersprüchlich klingt – schließlich haben wir uns, salopp gesagt, komplett vergiftet, auch moralisch. Das heißt nicht, dass ich jetzt täglich so eine Orgie feiern möchte. Aber ich habe etwas auch nur entfernt Ähnliches noch nie erlebt. Verstehst du? Meine wildeste Party bisher war ein Konfirmandenabend, bei dem ich Aufsicht hatte und einen Zug von einem Joint genommen habe, ohne zu wissen, dass es sich um Cannabis handelte. Ich hatte in meinem ganzen Leben mit einer einzigen Frau Sex, mit Consuela,und das letzte Mal liegt Jahre zurück, weil sie nicht mehr will, seit feststeht, dass sie nicht gebären kann. Meine Welt ist eine völlig andere.« Er seufzte und schloss die Augen. »Es geht nicht um schöner oder schlechter«, sagte er, die Augen weiter geschlossen. »Sondern um das Gefühl persönlicher Freiheit.«
    »Freiheit«, wiederholte ich, als wäre ich Mark.
    Er sah mich an. »Mit Verlaub, nicht die Art von Freiheit, um die es dir geht: keine Entscheidungen treffen zu wollen, die etwas ändern könnten. Du bist konservativ im Wortsinn, beinahe reaktionär.«
    Ich öffnete den Mund.
    »Ich kenne Cora«, sagte er dann.
    In diesem Augenblick klingelte ein Telefon, das von Henner.
    »Ja?«, fragte er, das Krächzen war beinahe verschwunden.
    Er zog die Stirn kraus. »Nein, hier ist Jan-Hendrik Balsam. – Doch. – Simon, bist du das?« Anschließend nickte er, die Stirn immer noch in Falten gelegt. »Verstehe«, sagte er. »Nein, äh, wir liegen, äh, vor Anker.« Er sah mich an und grinste müde. »Auf dem See. Schwer zu erklären.« Schließlich nickte er. »Okay, wir kommen, sobald wir können, aber heute definitiv nicht mehr.« Er sah kurz nach draußen, es dämmerte. »Ja, bis morgen. So früh wie möglich.«
    »Das war Simon«, erklärte er, als er die Verbindung beendet hatte. »Er ist noch im Polizeirevier, und sie lassen ihn nicht gehen, weil er keinen Ausweis hat, und er hat einfach behauptet, Jan-Hendrik Balsam zu heißen. Ich denke, er hat versucht, sich umzubringen. Jedenfalls haben sie ihn heute Morgen gefunden, komatös mitten auf den Gleisen liegend. Am Bahnhof Neustrelitz.«
    »Ach«, sagte ich verblüfft, aber es gelang mir nicht, mich auf die Neuigkeiten zu konzentrieren. »Woher zur Hölle kennst d u Cora?«
    Er grinste. »Erzähle ich dir ein andermal. Ich gehe jetzt schlafen.« Dann drückte er sich in die Höhe, kletterte schädelknallend nach unten und verschwand in seiner Koje. Ich tat es ihm nach und wollte eigentlich noch

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