Leidenschaft der Nacht - 4
erwiderte er schroff. »Ich lasse dich von meiner Kutsche zum Hotel bringen.«
»Ich fliege.«
»Du riskierst, gesehen zu werden.«
Aber dann würde er wenigstens nicht die Adresse ihres Hotels kennen. »Ich bin vorsichtig.«
»Nimm meine Kutsche. Ich möchte nicht, dass jemand sieht, wie du von meinem Haus wegfliegst.«
»Und du willst wissen, wo du mich findest.«
»Ich könnte dir auch durch die Luft folgen, Liv. Nimm die Kutsche.«
Natürlich hatte er recht. Und ihr fiel keine andere Ausrede ein. »Na schön, aber nur weil es die Mühe nicht wert ist, mit dir zu streiten.«
»Das erstaunt mich«, raunte er. »Mittwochabend. Sei um Punkt sechs hier! «
»Oder was?«, fragte sie mit dem Anflug eines Lächelns. »Sonst reist du ohne mich?«
Sein Blick hätte einen Hausbrand einfrieren können, und sie hätte schwören können, Eissplitter in dem tiefen Blau zu erkennen. »Oder ich betrachte unsere Vereinbarung als null und nichtig.«
Er meinte, was er sagte. Die Kälte seiner Worte drang Olivia bis in die Zehenspitzen. Ach werde hier sein.« Nachdem nun alles geklärt war, gab es keinen Grund mehr für sie, länger zu bleiben.
»Reign?«, setzte sie an, als sie an der Tür noch einmal stehen blieb und sich zu ihm umsah.
»Was?«
Sie brachte sogar ein Lächeln zustande, obwohl schreckliche Schuldgefühle sie plagten. »Danke.«
Sie wurde verfolgt.
Olivia schaute aus dem Rückfenster von Reigns luxuriöser Kutsche. Aufmerksam musterte sie jeden Schatten, jeden Wagen und jede Silhouette im dunstigen Licht der Straßenlaternen. Die Droschke dort - fuhr sie seit dem. Belgrave Square hinter ihr?
Und was war mit dem Reiter? Handelte es sich um Reign, oder spielte ihre Phantasie ihr Streiche? In London waberten so viele Gerüche durch die Luft, dass sie unmöglich seinen Duft ausmachen könnte. Zudem hatte ihr Kuss vorhin dafür gesorgt, dass er ihr anhaftete wie ein teures Parfum, ihre Sinne verwirrte und an ihr Herz rührte. Im Hotel musste sie als Erstes ein Bad nehmen.
Und sich wund schrubben. Vielleicht sogar ihre Kleider verbrennen. Olivia biss die Zähne zusammen und atmete tief durch. Nein, sie würde nicht hysterisch werden, bloß weil der Duft eines Mannes sie zu ersticken drohte!
Selbst wenn sie glaubte, ihn zu riechen - warum sollte Reign ihr folgen, wo sein Kutscher ihm hinterher ohnehin ihre Adresse nennen konnte? Oder hielt ihr Ehemann sie vielleicht für eine Mörderin und fürchtete um die Sicherheit seines Fahrers?
Womöglich fürchtete er auch um ihre.
Das war ein romantischer Gedanke, den sie auf der Stelle verwerfen sollte. Reign war genauso wenig in sie verliebt wie sie in ihn. Zu viel war zwischen ihnen vorgefallen, zu viel Zeit der Bitterkeit verstrichen. Was immer sie noch für ihn empfinden mochte oder wieder empfinden könnte, änderte nichts an der Tatsache, dass es vergehen würde. Diesmal betrog sie ihn, und das würde alles, was noch an Gefühlen überlebt haben könnte, endgültig zerstören.
Sie drehte sich wieder nach vorn, lehnte sich in die weichen Samtpolster zurück und schloss die Augen. Was machte es schon, wenn jemand ihr folgte? Sie war bald im Hotel. Und sofern es kein anderer Vampir oder eine kleine Armee von Männern war, konnte derjenige ihr nichts anhaben.
Ja, ihre Stärke und Wendigkeit waren zwei wahre Vorzüge des Vampirseins. Nie wieder würde sie die Angst erfahren, eine schutzlose Frau zu sein. Sie brauchte weder Krankheit noch Verletzungen zu fürchten. Körperlich war sie gegen Menschen und gegen die Natur gefeit. Nie mehr konnte ein Sterblicher oder konnten mehrere von ihnen sie dazu bringen, ihre Schritte zu beschleunigen, während ihr Herz vor Angst pochte. Solche Reaktionen rief nur ein einziger Mann bei ihr hervor, und dieser war nicht menschlich.
Wie kam es, dass sie nach allem, was er ihr genommen hatte, dennoch so heftig auf ihn reagierte? War ihre kurze gemeinsame Zeit so faszinierend gewesen, dass ihr Körper ihm alles andere verzieh? Hatte die Freude jeden Schmerz überwogen? Selbst jetzt erschien ihr das, was sie einst so tief verletzt hatte, verschleiert von erotischen Bildern ihrer ineinander geschlungenen Leiber, hingebungsvoll und sich gegenseitig haltend wie Meer und Strand.
Ihre erste gemeinsame Nacht war ihr noch so klar im Gedächtnis, als wäre sie gestern gewesen - oder gerade eben. Nie hatte sie etwas Vergleichbares erlebt. Und hinterher hatte Reign sie in den Armen gehalten und ihr gestanden, ihm ginge es nicht
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