Leidenschaft der Nacht - 4
offenbar hatte das Mädchen keine Ahnung, dass die früheren Mr. und Mrs. Gavin die gegenwärtigen waren, sonst könnte sie Olivia wohl schlecht für tot halten. Und das wiederum bedeutete, dass Janet nicht wusste, dass Olivia und Reign Vampire waren.
Folglich musste Olivia sich in Gegenwart ihrer neuen Zofe so menschlich wie möglich verhalten.
»Ja«, antwortete sie und stand auf. »Wenn du mir bitte aus dem Kleid hilfst. Den Rest schaffe ich allein.«
Janet gehorchte mit einem zahnreichen Grinsen. »Die Haushälterin hat mir nicht gesagt, welche Zeiten Sie pflegen. Die aus der Stadt oder die vom Land?«
Oh Gott, das kleine Ding erwartete, dass sie während des Tages aufstand! Offenbar hatte Reign das gesamte Haus mit entsprechend dicken Vorhängen ausgestattet, dass sie tagsüber geschützt waren.
»Städtische«, antwortete sie, während ihr das Mädchen das Kleid über den Kopf zog. Es duftete nach Reign. »Ich muss gestehen, dass ich eine ziemliche Nachteule bin. Und ich bin es gewöhnt, für mich selbst zu sorgen. Also werde ich läuten, wenn ich dich brauche.« Tatsächlich hatte sie gelernt, allein zurechtzukommen - und das auf vielerlei Weise, seit sie auf sich gestellt war.
Janet machte einen Knicks. »Sehr wohl, Ma’am. Wenn das alles ist, wünsche ich eine gute Nacht.«
Olivia nickte, und die Zofe sammelte alle Sachen zusammen, die gewaschen oder gebügelt werden mussten. Wie das zarte Mädchen den Stapel tragen konnte, war Olivia rätselhaft.
Als sie allein war, streifte Olivia den Rest ihrer Kleider ab und legte ihre Unterwäsche in den Korb, damit sie morgen gewaschen würde. Sie hätte sich von Janet mit ihrem Korsett helfen lassen sollen, denn Reign hatte sie ziemlich fest eingeschnürt. Sie musste eine Weile kämpfen, bekam die Bänder aber letztlich weit genug gelöst, um vorn die Haken zu öffnen. Sobald sie es los war, legte sie das Korsett in die Kommode und zog sich ein dünnes Seidennachthemd an, das ideal für die warme Witterung war. Dann zog sie sich die Haarnadeln heraus. Anschließend bürstete sie ihr Haar und verfluchte gerade die zahlreichen Knötchen, als es an der Tür klopfte.
Sie hatte gar keine Zeit, »Herein!« zu rufen, als die Tür auch schon aufging und Reign hereinkam.
Olivia hielt mitten in der Bewegung inne. »Du brauchst natürlich keine Erlaubnis, um einzutreten.« Sie konnte nicht entscheiden, was sie mehr ärgerte: dass er kein bisschen zerknirscht wirkte oder dass ihr Herz bei seinem Anblick einen Freudentanz vollführte.
»Mein Haus«, er-widerte er und musterte sie gelassen.
Sie war viel zu alt, um verlegen zu sein, vor allem, nachdem er sie Stunden zuvor erst nackt gesehen hatte, aber trotzdem wollte sie die Arme vor ihrer Brust verschränken. Stattdessen stemmte sie ihre Hände in die Hüften und streckte die Schultern durch. Wenn er unbedingt wollte, sollte er ruhig etwas gespannte Seide über Brüsten geboten bekommen!
»Meines auch, glaubt man dir.«
Er zuckte lässig mit den Schultern und ließ seinen amüsierten Blick von ihren Brüsten zu ihrem Gesicht wandern. »Demnach darfst du in mein Schlafzimmer kommen, wann immer es dir genehm ist.«
Sein Schlafzimmer. Sie hatten also getrennte Räume? Warum fand sie dieses Detail gleichermaßen enttäuschend und beruhigend?
»Wolltest du etwas Bestimmtes, Reign?« Sie bemühte sich, überheblich zu klingen, aber leider kam es ziemlich beißend heraus.
Er lüpfte eine Braue ob ihres Tons, ignorierte ansonsten aber ihre Reaktion. Wieder einmal fand sie es rührend und verdrießlich zugleich, wie sehr er sich anstrengte.
Er hielt eine Kristallkaraffe mit einer rötlichen Flüssigkeit und zwei Gläser in die Höhe. Weder das eine noch das andere war ihr vorher aufgefallen. »Ich dachte, du bist vielleicht hungrig.«
Olivias Hals wurde eng, und sie runzelte die Stirn. »Danke.«
Als Reign verwegen grinste, funkelten seine Augen. »Ich wette, daran bist du halb erstickt.«
Hatte sie sich eben noch beleidigt gefühlt, musste sie jetzt unweigerlich lachen. Er hatte recht, und sie mochte es, dass er darüber scherzte. Das machte es ihr um einiges leichter, die Geste zu akzeptieren.
Dass sie allerdings gemeinsam lächelten, war ihr nicht unbedingt angenehm. Sie wollte es nicht, wie sie überhaupt seine Gesellschaft nicht genießen wollte. Lieber klammerte sie sich an ihren Hass. Damit würde alles einfacher, was ihr bevorstand.
Sie bedeutete ihm, sich auf den blassgrünen Sessel vor dem Kamin zu setzen.
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