Leidenschaft der Nacht - 4
Da die Nacht sehr warm war, brannte kein Feuer, aber dort hätten sie es bequem.
Reign setzte sich, stellte die Karaffe mit den Gläsern auf den kleinen Marmortisch zwischen ihnen und schenkte ihnen beiden ein. Der warme, leicht süßliche Kupfergeruch des frischen Blutes kitzelte in Olivias Nase und ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Nachdem sie sich ihm gegenüber hingesetzt hatte, nahm sie das Glas, das er ihr reichte. Das geschliffene Kristall fühlte sich kühl an.
»Zum Wohl«, prostete er ihr zu.
Olivia erwiderte, dann tranken sie beide. Noch nie hatte ihr jemand zugesehen, wie sie Blut trank - bis heute. Für sie war es stets etwas sehr Persönliches gewesen, und nun teilte sie es mit Reign, als würden, sie lediglich ein Glas Wein vor dem Schlafengehen trinken.
Früher hatten sie es immerzu gemacht. Sie hatten
zusammengesessen, geredet und dazu eine Flasche Chianti geleert. Fast wie jetzt.
Gewöhnlich brauchte sie nicht mehr als drei Gläser, bis sie rastlos wurde und sich wie eine billige Dirne auf Reign stürzte.
Gott, wie sie das vermisste! Ihr fehlte das Gefühl, nach ein bisschen Wein schwindlig und wundervoll unbeschwert zu werden, und ihr fehlte es, sich ihm schamlos hinzugeben. Mit Freuden hatte sie ihn ihren Schwips ausnutzen lassen.
»Ich hatte es dir vor unserer Abreise nicht gesagt«, begann er, ohne sie richtig anzusehen, »aber Pater Abberley … er ist tot. «
Angst, Schuld und Wut rangen in Olivia, während ihr übel wurde. »Möge Gott seiner Seele gnädig sein.«
Reign überging ihren religiösen Wunsch. »Es ist nicht deine Schuld, wie dir hoffentlich bewusst ist.«
Sie hätte ihm widersprechen, sich Vorwürfe machen können, doch was änderte das?
Dass Pater Abberley einem Plan zum Opfer gefallen war, der James, sie und sogar Reign betraf, war und blieb furchtbar. Andererseits hatte sie wirklich nicht ahnen können, dass der alte Priester verletzt, sogar getötet würde, weil er sich mit ihr unterhalten hatte.
»Ich weiß« antwortete sie, »aber ich bedaure es trotzdem.«
Reign nickte, und für einige Momente schwiegen beide, ehe er das Thema wechselte. »Ich habe mehreren Bekannten eine Nachricht gesandt, dass ich heute in Edinburgh ankomme.« Er wischte sich mit dem Daumen über den Mundwinkel. »Wie ich bereits voraussagte, sind wir zu einer Handvoll Gesellschaften eingeladen, unter anderem zu einer Party am Freitagabend. Falls du dich nach James erkundigen möchtest, wäre dort der richtige Ort, um anzufangen.«
»Eine Party?« Das waren die einzigen Wörter, die es durch ihren umwölkten Verstand schafften.
»Die Gastgeber sind Sir Robert Anderson und seine Frau. Ihre Abendgesellschaften locken immer eine Menge Gäste an. Dashbrooke und seine Freunde werden gewiss auf der Liste stehen. Und ich bin sicher, dass jemand dort James vor seinem Verschwinden gesehen hat - vorausgesetzt, er bewegte sich in den feinen Kreisen.«
Olivia sah ihn unsicher an. Sie wusste nicht, was sie tun, sagen oder auch nur denken sollte. Als sie ihn um Hilfe gebeten hatte, war es kaum mehr als eine List gewesen, damit er sie herbegleitete. Sie hatte nicht erwartet, dass er sich tatsächlich so engagieren würde, obgleich er es versprochen hatte. Und nun hatte er dafür gesorgt, dass sie zu einer Party eingeladen wurden, auf der sie dem Mann begegnen konnte, der James nach Schottland gebracht hatte.
Das war alles zu viel für sie, eine zu große Bürde auf ihrem Gewissen. »Warum bist du so freundlich?«, fragte sie mit etwas belegter Stimme. »Weshalb nimmst du solche Mühen auf dich für … für mich?«
Reign betrachtete sie mitleidig, was die Wut nährte, an der sie sich so verzweifelt festhielt. »Du bist meine Frau.«
»Hör auf, das zu sagen! « Das Blut in ihrem Glas bewegte sich gefährlich und drohte, über den Rand zu schwappen. »Ich war eine Nacht lang deine Frau, was wohl kaum eine derartige Ergebenheit rechtfertigt! «
»Zuvor warst du über Monate meine Geliebte«, erinnerte er sie, als hätte sie jene wundervollen Nächte vergessen können. »Und ich habe nie behauptet, dir ergeben zu sein.«
Nein, das hatte er nicht. Aber er hatte ihr gesagt, dass er sie liebte, und sie glaubte ihm. »Warum ist dir dann an meinen Gefühlen gelegen? Versuchst du, mich dazu zu bringen, dass ich meine Entscheidung bereue? Willst du erreichen, dass ich denke, ich sei im Unrecht?«
Plötzlich nahmen seine Augen den scharfen Ausdruck eines Raubvogels an. »Bist du denn im
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