Leidenschaft und Pfefferkuchen
Sozialamt gemeldet. Die haben dann versucht, ihn mir wegzunehmen. Wir sind vor Gericht gelandet. Das Verfahren hat mich jeden Penny gekostet, den ich noch hatte, aber ich habe es geschafft, das Sorgerecht für meinen Bruder zu erwirken. Daraufhin sind wir weggezogen. Ich wollte nicht länger in Chicago bleiben.“
Sie stand auf, ging zum Fenster und starrte hinaus. Es hatte zu schneien begonnen. „Ich habe mich für Arizona entschieden, weil es hier eine richtig gute Tagesschule gibt. Ich habe es geschafft, für unseren Unterhalt zu sorgen, indem ich zwei oder zeitweise drei Jobs gleichzeitig ausgeübt habe. Dirk hat sich gut entwickelt, aber als er in die Pubertät gekommen ist, haben sich die Dinge geändert. Er braucht jetzt mehr Förderung.“
„Die Madison School“, murmelte Mark. „Deswegen bist du hierhergezogen.“
„Stimmt genau. Sie bietet ein erstaunliches Programm für ihre Internatsschüler. Mein Bruder kann dort lernen, sich in der Welt zu behaupten. Die Lehrer erwarten, dass er im Laufe der Zeit ziemlich selbstständig wird. Ich will einfach, dass er glücklich ist. Einer der Therapeuten hat mir gesagt, dass wir wahrscheinlich finanzielle Förderung beantragen können, was sehr gut ist, weil es echt knapp ist. Jeder Penny, den ich einnehme, geht für meinen Bruder drauf. Ich lebe so günstig, wie es nur geht. Mein Auto ist klapprig, meine Kleidung ist schäbig, ich führe kein geselliges Leben. Und weißt du was? Das ist mir total egal, weil ich meinen Bruder liebe und alles für ihn tun würde.“
Sie drehte sich zu ihm um. Ihr Zorn war zurückgekehrt. „Ich bin fünfzig Stunden pro Woche als Kellnerin auf den Beinen und habe ein Nebengeschäft, das sich eventuell irgendwann rentieren wird. Du hast also kein Recht, mich zu verurteilen oder mir irgendwas vorzuwerfen. Ich habe das alles ohne die geringste Hilfe auf die Beine gestellt, und offen gesagt denke ich, dass ich es verdammt gut gemacht habe.“
Sie ging einen Schritt auf ihn zu und stützte die Hände in die Hüften. „Ich dachte, du wärst etwas ganz Besonderes. Ich habe dich tatsächlich gemocht. Jetzt denke ich, dass du Abschaum bist, und es tut mir leid, dass ich je mit dir geschlafen habe. Fahr zur Hölle, Mark Kincaid!“
Sie stürmte zur Haustür und riss sie auf. Dann ließ sie zum Abschied eine letzte Spitze los. „Ach, und übrigens, ich bin nicht schwanger. Nicht, dass du dir die Mühe gemacht hast, danach zu fragen.“
Sie verschwand in den Nachmittag und schlug die Tür hinter sich zu.
Mark starrte auf die Stelle, an der sie gerade noch gestanden hatte, und wünschte sich mit beinahe schmerzhafter Intensität, sie würde ihm eine zweite Chance geben. Denn diesmal hatte er es sich gründlich mit ihr verdorben. Der Schmerz, den er verspürte, stammte nicht von seinem verstauchten Knöchel oder der Prellung im Gesicht. Er rührte daher, dass er einer Person wehgetan hatte, die nichts anderes verdiente als das Beste, was das Leben zu bieten hatte.
Wie kann man nur so dumm sein?
Obwohl er wusste, dass es ihm nichts half, konnte er sich nicht davon abhalten, nach dem Album zu greifen. Er legte es sich auf den Schoß und schlug es auf, blätterte langsam Seite für Seite um und beobachtete, wie sich Darcys Leben vor seinen Augen entfaltete.
Er musterte sie als pausbäckiges kleines Mädchen mit blonden Locken und einem fröhlichen Lächeln, und das Herz wurde ihm schwer. Er sah Fotos von ihr in schicken Kleidchen an Feiertagen, im Vorschulalter auf einem Pony, zusammen mit Freunden bei einer Geburtstagsparty. Den Hintergrund bildete zumeist ein stattliches Haus mit edler Einrichtung.
Sie schien etwa zehn Jahre alt gewesen zu sein, als ihr Bruder auf die Welt gekommen war. Von da an war sie häufig mit einem fröhlichen Baby auf dem Arm zu sehen. Besonders aufmerksam studierte Mark die Fotos der gesamten Familie und verfolgte, wie das Lächeln ihrer Eltern von Bild zu Bild verkrampfter wurde, Darcys offensichtliche Zuneigung zu ihrem Brüderchen aber unverändert bestehen blieb.
Er blätterte weiter und betrachtete Aufnahmen von Darcy bei einem Tanzkurs. Auf einem Schulfest sah sie wunderschön aus und hing am Arm eines hübschen Jungen. Nach einigen Fotos von ihrem Highschool-Abschluss war Dirk nur noch allein zu sehen. Es waren auffallend weniger Bilder als zuvor von Darcy.
Die letzten Seiten zeigten Dirk in einer kleinen Wohnung. Die eleganten Möbel waren verschwunden, ebenso wie das große Haus. Auf
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