Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
mit sich. »Darf ich Sie mal etwas Persönliches fragen?«
Der Kriminalbeamte war derart irritiert, dass er nur mechanisch nickte und die körperliche Annäherung willenlos geschehen ließ.
Professor Grabler drehte sich zu Hollerbach um, der wie in Blei gegossen immer noch auf derselben Stelle verharrte. »Sigbert, lässt du uns bitte einen Moment allein? Du kannst ja schon vorgehen. Ich komme gleich nach.«
Mit gesenktem Haupt befolgte der Oberstaatsanwalt die Anweisung und entfernte sich in Richtung des Speisesaals.
»Sagen Sie mal, mein lieber Tannenberg«, versetzte der renommierte Strafrechtsanwalt in kumpelhaftem Ton, »stimmt es wirklich, was man so ab und zu über Sie hört beziehungsweise in der Zeitung liest?«
Der Angesprochene krauste die Stirn. »Was meinen Sie?«
»Na, dass Ihnen Ihre Familie nicht selten tatkräftig bei den Ermittlungen zur Seite steht?«
Tannenberg zögerte.
Was will der von mir? Ist das eine Falle?, pochte es unter seiner Schädeldecke.
Er musterte das ebenmäßige, sympathische Gesicht des etwa 65-jährigen Juristen, dem ein legendärer Ruf als Prominentenanwalt vorauseilte. In seiner beruflichen Laufbahn hatte er einige hochkarätige Mandanten vertreten. Bei aufsehenerregenden Prozessen war es ihm zumeist gelungen, das Optimale für seine Mandanten herauszuholen.
Professor Grabler schien über einen sechsten Sinn zu verfügen. Mit einem verschmitzten Lächeln schob er in Tannenbergs Schweigen hinein nach: »Sie brauchen wirklich keine Angst zu haben. Das bleibt natürlich unter uns.« Er lachte. »Außerdem unterliege ich ja der Schweigepflicht. Wissen Sie, es interessiert mich einfach. Ich bin ein regelrechter Fan von unorthodoxen Ermittlungsmethoden.«
Wolfram Tannenberg zögerte noch einen Moment, doch dann berichtete er seinem Gegenüber stolz von dem unglaublichen Zusammenhalt und der Hilfsbereitschaft innerhalb seiner Großfamilie. Und er gestand diesem distinguierten Herrn, den er nur aus den Medien kannte, etwas ein, das er selbst seinem eigenen Vater bislang verschwiegen hatte. Nämlich die Tatsache, wie sehr er und seine Kollegen in der Vergangenheit von den Hinweisen und Internetrecherchen des sogenannten Sherlock Holmes aus der Beethovenstraße profitiert hatten, wie sein Vater mittlerweile liebevoll genannt wurde.
»Es geht doch nichts über eine intakte Familie«, bemerkte Professor Grabler.
»Das kann man wohl sagen.«
Der will dich mit seinem Gesülze doch nur einlullen. Merkst du das denn nicht, du naiver Dödel?, meldete sich plötzlich Tannenbergs innere Stimme zu Wort.
»Ich denke, wir sollten uns nun meinem neuen Mordfall zuwenden«, wechselte der Leiter des K 1 nach diesem berechtigten Einwurf das Thema. »Bruce Legslow hat vorhin lauthals verkündet, dass die Mitglieder des Turbofood-Teams erst nach der Beratung mit den Konzern-Anwälten sachdienliche Aussagen machen werden.«
»Aber dieses professionelle Verhalten ist doch nur allzu verständlich, Herr Hauptkommissar«, sagte Professor Grabler mit einer Klangfärbung versetzt, mit der man unzweifelhafte Fakten verkündete.
»Professionelles Verhalten?«, paraphrasierte Tannenberg.
»Ja, selbstverständlich. Schließlich stehen Konzern und Radsportteam im Fokus der Öffentlichkeit.« Professor Grabler räusperte sich dezent und fügte hinzu: »Einer überaus kritischen Öffentlichkeit, nebenbei bemerkt. Zu dieser Zurückhaltung habe ich Herrn Legslow dringend geraten.« Er lachte auf. »Dafür werde ich ja auch bezahlt.«
»Fürstlich, wie ich annehme«, konnte sich der Leiter des K 1 nicht verkneifen.
»Nur kein Sozialneid auf die Leistungsträger unserer Gesellschaft, mein lieber Herr Hauptkommissar«, konterte der Prominentenanwalt. Er rückte seine Krawatte zurecht und bedachte dabei seinen Gesprächspartner mit einem stechenden Blick. Sein Ton wurde wieder förmlicher. »Hat Ihnen Sigbert vorhin mitgeteilt, dass wir uns bereits über das weitere kriminalpolizeiliche Vorgehen verständigt haben?«
»Ja, das hat er«, brummelte Tannenberg. Natürlich lagen ihm einige bissige Kommentare auf der Zunge, aber er verzichtete zähneknirschend auf eine Replik.
»Gut, dann sind Sie ja bestens informiert. Bitte verlieren Sie bei Ihrer kriminalpolizeilichen Ermittlungsarbeit nicht aus den Augen, dass wir es hier mit einem der Topteams der Tour de France zu tun haben.«
»Und mit einem brutalen Mord.«
»Selbstverständlich, Herr Hauptkommissar.« Professor Grabler seufzte tief und ergänzte
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