Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
in der Mitte durch und zerriss dadurch die Folie. Er schloss die Augen und schnüffelte intensiv an dem schwarzbraunen Barren.
Riecht gar nicht schlecht, aber irgendwie ungewöhnlich, ganz anders als normale Schokolade. Ist das nicht ein zarter Pfeffergeruch? Er brach ein kleines Stück ab und schob es in seinen Mund. Ziemlich bitter und herb, lautete sein erster Geschmackseindruck. Zudem irgendwie ölig und schmierig analysierte er in Gedanken weiter. Dann ließ er das Schokoladenstück langsam auf der Zunge zergehen.
Plötzlich erinnerte er sich daran, dass Petra Flockerzie und seine Kollegen am Morgen die Schokolade in ihren Kaffee gedippt hatten, bevor sie sie in den Mund steckten. Also ging er zur Kaffeemaschine, braute sich einen doppelten Espresso und kehrte in sein Dienstzimmer zurück. Dann tat er es seinen Kollegen gleich und tunkte ebenfalls die schwarze Schokolade in die mit einer ockerfarbenen Crema überzogene Brühe. Die seimige Crema veredelte die Bitterschokolade nun zu einem tatsächlich unvergleichlichen Geschmackserlebnis.
Wirklich nicht schlecht, dachte er, während er den angeschmolzenen Riegel in seinen Mund einführte, um ihn gleich darauf nochmals zwei, drei Sekunden in den heißen Espresso zu tunken. Nie hätte ich geglaubt, dass Bitterschokolade so gut schmecken kann. Sie ist überhaupt nicht süß, und dazu soll sie ja auch noch unglaublich gesund sein.
Es klopfte an der Tür. »Wolf, können wir reinkommen?«
»Einen Moment noch bitte«, brüllte Tannenberg zurück. Geschwind ließ er den Rest der angebrochenen Bitterschokolade in seiner Schreibtischschublade verschwinden und leckte sich den Kakao von den Fingerkuppen und aus den Mundwinkeln. »Jaa-a, ihr könnt jetzt reinkommen.«
»Wolf, wir haben das Hotelpersonal aus den Betten geklingelt«, legte Michael Schauß sogleich los. »Einen Nachtportier und einen Barkeeper. Die waren ganz schön muffelig, kann ich dir sagen.«
»Und, was ist mit diesen Leuten? Haben sie irgendwas Interessantes bemerkt?«
»Also, der Barkeeper ist kurz vor zwei Uhr nach Hause gefahren. Das hat der Nachtportier bestätigt. Und davor ist ihm nichts aufgefallen. Er hat während des gesamten späten Abends weder einen der Radfahrer noch einen anderen aus dem Team zu Gesicht bekommen.«
»Blieb somit nur noch der Nachtportier«, übernahm Sabrina, »ein Mann so um die 70. Er hat es zwar nicht zugegeben und andauernd rumgedruckst, aber ich denke, wir können davon ausgehen, dass er die meiste Zeit über geschlafen oder Fernseh geguckt hat. Direkt hinter der Rezeption befindet sich ein kleines Büro mit einem bequemen Sessel.«
Ein verschmitztes Lächeln huschte über ihr sonnengebräuntes Gesicht. »Na ja, das sei ihm in seinem Alter ja auch gegönnt. Jedenfalls hat er ausgesagt, dass er nach Mitternacht im Hotel keine Geräusche mehr gehört habe.«
»Wir haben übrigens die beiden Männer auch dahingehend befragt, ob ihnen im Verlauf des gestrigen Tages innerhalb des Turbofood-Teams irgendwelche Spannungen, Streitereien oder sonst irgendetwas Besonderes aufgefallen ist«, erklärte der junge Kommissar.
»Sehr gut«, lobte sein Vorgesetzter.
»Aber beide haben unabhängig voneinander behauptet, dass sie nichts Derartiges bemerkt hätten. Ganz im Gegenteil: Diese Gäste seien sehr nett und höflich miteinander umgegangen und hätten viel gelacht.«
Wolfram Tannenberg meldete Skepsis an: »Damit haben die beiden wohl genau der Hotel-Stallorder entsprochen: nie ein schlechtes Wort oder eine Indiskretion über einen Gast verlieren – es könnte sich ja herumsprechen und die Gäste verscheuchen«, meinte er nüchtern. »Wie die drei Affen: nix hören, nix sehen, nix sagen. Egal, was passiert.«
»Die Leute haben eben alle Angst um ihren Arbeitsplatz«, zeigte Michael Schauß Verständnis. Er kratzte sich am Hals und zuckte mit den Schultern. »Kann man in diesen Zeiten auch nur zu gut verstehen.«
»Ja, sicher«, stimmte Tannenberg zu. »Noch was?«
»Ich hab mal ein wenig im Internet über unser Mordopfer recherchiert«, entgegnete Sabrina. »Der Mechaniker Joop van der Miel war früher ein ziemlich erfolgreicher Radprofi. In den 70er-Jahren hat er sogar mehrere Tour-de-France-Etappen gewonnen.«
»Interessant. Dem Namen nach war der Mann Holländer, stimmt’s?«
»Ja.«
»Dann rufe ich doch am besten gleich mal meinen alten Freund Benny de Vries an«, verkündete ihr Chef. Er zwinkerte seinen beiden Kollegen zu. »Rein dienstlich,
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