Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
frivolen Blick seinen Genitalbereich taxierte.
Schamhaft drehte sich Florian zur Seite.
»Na, nun hab dich mal nicht gleich so. Ist ja nur Spaß gewesen.« Sie drückte eine Hand auf seine Hüfte. »Komm, zieh dein T-Shirt aus und leg dich auf den Bauch.«
Zögerlich gehorchte Florian.
Jenny entfernte das alte Testosteronpflaster und klebte ihm ein neues auf den Rücken. Dann zog sie eine Einwegspritze auf.
»Was ist das?«, fragte Flo mit leicht zitternder Stimme.
»Erythropoetin – kurz: Epo genannt. Ab heute Abend machen wir zwei eine kleine Spritztour hinauf auf den Berg der Spitzenleistungen.«
»Ist das Zeug nicht sehr gefährlich?«
»Nein. Wenn man es richtig anwendet und ein paar wichtige Dinge beachtet, ist das Zeug nicht gefährlicher als ein Hustenbonbon. Außerdem hat Dr. Schneider sehr viel Erfahrung damit.«
In Florians Bewusstsein tauchte plötzlich eine interessante Frage auf: »Wieso hat die Polizei vorhin bei dieser Durchsuchungsaktion die Pflaster und die Ampullen nicht entdeckt?«
Ein amüsiertes Lächeln huschte über Jennys sonnengebräuntes Gesicht. »Weil wir unsere delikaten Sachen immer sehr gut verstecken.«
»Und wo?«
»Das braucht mein kleiner Flo nun wirklich nicht zu wissen.« Ein tiefer Stoßseufzer kam ihr über die Lippen. »Manchmal ist es besser, nicht zu viel zu wissen. Denn wer nichts weiß, kann auch nichts verraten.«
»Glaubst du, Joop hat etwas verraten und musste deshalb sterben?«
Jenny zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.« Sie senkte die Stimme. »Aber merk dir eins: Der Spitzenradsport wird von der Mafia kontrolliert. Und bei der Mafia herrscht das Gesetz des eisernen Schweigens, die Omertà. Wenn sich alle Beteiligten an diese Spielregeln halten, passiert einem nichts. Doch wenn einer dieses Gesetz bricht …« Sie machte die Geste des Halsabschneidens und setzte gleich darauf die Spritze.
»Autsch«, zischte Florian Scheuermann.
»Schon vorbei«, sagte Jenny und ließ die Spritze in ihrer Tasche verschwinden. Sie trug ein paar Daten in ihr Notizbuch ein und steckte es weg. Danach kramte sie in der Sporttasche herum und reichte Flo eine Schachtel Aspirin. »Davon nimmst du alle vier Stunden eine – auch nachts.« Sie schaute ihn eindringlich an. »Du stellst dir dazu am besten den Wecker. Sicherheitshalber komme ich dich kontrollieren. Diesen Job hat bisher immer der gute alte Joop erledigt. Aber das kann er ja nun leider nicht mehr.«
»Dann …« Florian brach plötzlich ab. Eigentlich hatte er gerade erzählen wollen, dass er in der letzten Nacht seine Kollegen auf dem Flur herumspazieren sah. Doch irgendeine innere Warnleuchte glimmte auf und signalisierte ihm, Jenny gegenüber nicht allzu offen zu sein. »Dann werde ich am besten gleich die Weckzeit einstellen«, vollendete er, schnappte seinen Funkwecker und hantierte daran herum.
»Demnächst beginnt der Doc mit dir eine Eigenblutbehandlung.« Als sie Florians entsetztes Gesicht sah, streichelte sie ihm sanft über den Rücken. »Keine Angst, Flo, du bekommst einfach nur Blut abgezapft. Und nachdem es mit Sauerstoff angereichert wurde, wird es dir dann wieder infundiert. Das ist so etwas wie ein permanenter Ölwechsel. Und zwar einer, der deinen Motor richtig schön auf Hochtouren bringt.«
»Ist dieses Verfahren wirklich ungefährlich?«
»Ja, absolut. Das ist nichts anderes, als Blut zu spenden und nachher wieder eine Bluttransfusion zu erhalten. Allerdings ohne deren Unverträglichkeitsrisiken, denn es ist ja dein eigenes Blut, das dir infundiert wird. Nein, dieses Verfahren ist völlig unbedenklich, darauf kannst du dich verlassen.« Mit einem Klaps auf Florians Rücken erhob sie sich vom Bett. »Und ich verlasse dich jetzt. Deine Kollegen warten schon.«
Florian drehte sich auf den Rücken und schaute zur Tür, die Jenny gerade öffnete. »Was ist denn das?«, rief er ihr verwundert hinterher.
»Drei kleine Betthupferl für dich«, kam es zurück.
Dann fiel die Tür ins Schloss. Florian nahm eine der Pralinen in die Hand, entfernte die Verpackungsfolie und steckte sie in den Mund.
»Felix«, murmelte er. »Welch ein merkwürdiger Name für eine Praline.«
9. Etappe
Mittwoch, 1. Juli
»So, mein Spatz, Mama geht jetzt ein paar Stunden arbeiten. Aber zum Mittagessen bin ich wieder bei dir«, versprach Marieke ihrer kleinen Tochter. Sie drückte sie fest an sich, gab ihr einen Abschiedskuss und setzte sie auf dem Küchenboden ab. Mit ihrer Lieblingspuppe im Arm trottete
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