Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
ein paar Stunden.
Die anderen scheinen den Mord und das ganze Drumherum ja locker wegzustecken. Aber ich kann das nicht. Wir können doch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, so tun, als ob überhaupt nichts passiert sei. Ein Mensch ist brutal ermordet worden. Mit einer Fahrradkette. Hier bei uns im Hotel, zwei Stockwerke unter mir. Während ich geschlafen habe. Morgen stehen wie geplant zwei Trainingseinheiten auf dem Programm. Ich hab eben beim Training ganz schwere Beine gehabt. Wie wird das erst bei der Tour werden? Die fahren doch alle wie der Teufel. Wie soll ich da nur mithalten?
Florian atmete schwer. Er schraubte sich ächzend in die Höhe, ging zum Fenster und öffnete es sperrangelweit. Die frische Luft belebte ihn ein wenig. Er schaute hinüber zum Wald, der sich ihm als tiefschwarzer, trutziger Wall entgegenstellte. Das fahle Mondlicht beschien die hohen Baumwipfel und erinnerten an mittelalterliche Burgzinnen. Der spitze Schrei eines Raubvogels zerschnitt die friedliche Stille.
Der Jungprofi drückte das Fenster in den Rahmen, ließ sich matt auf sein Bett fallen und schloss die Augen.
Jetzt einfach einschlafen und erst morgen früh wieder wach werden und dann feststellen, dass dieser Mord nur ein böser Albtraum war, wünschte er sich im Stillen.
Es klopfte an der Tür. Florian meinte zunächst, sich verhört zu haben, doch dann klopfte es erneut, diesmal lauter. Er sprang auf und öffnete die Tür einen Spaltbreit.
»Hallo, mein kleiner Flo, hast du etwa Angst vor mir?«, grinste ihn Jenny an. Als Florian leicht errötete, schob sie nach. »Oder hab ich dich gerade bei einem Pornofilm gestört?«
»Nein, nein«, stammelte der junge Radsportler und zeigte als Beweis auf den Fernsehschirm, auf dem ein Actionfilm flimmerte.
»Hast du doch gerade weggezappt, oder?«
»Nein, wirklich nicht«, beharrte Forian, dessen Teint inzwischen eine andere Farbe angenommen hatte.
»Ach, wie süß, der Kleine kann ja noch richtig rot werden. Schlechtes Gewissen, was?«
Florian senkte den Kopf und wiegte ihn trotzig hin und her.
»Willst du mich denn nicht hereinbitten?«
»Doch, sicher. Entschuldigung.«
»Du brauchst dich doch bei mir nicht zu entschuldigen, mein lieber kleiner Flo«, sagte die Physiotherapeutin und drückte sich an ihm vorbei ins Zimmer. »Und wie geht’s dir denn so?«
»Alles okay«, mimte er nun wieder den Coolen.
»Belastet dich diese fürchterliche Sache mit unserem armen, alten Joop denn nicht?«
»Doch, natürlich«, gab er zurück. »Aber, was soll’s. Es ist nun einmal passiert. Und wir müssen unseren Job weitermachen.«
»Wow, der abgebrühte Profi spricht«, höhnte Jenny.
»Ich hab ihn doch gar nicht gekannt«, versetzte Flo.
Jenny drückte ihn mit der flachen Hand aufs Bett. »Ich kannte ihn fast ein Jahr.« Sie seufzte tief. »Aber wer kann schon von sich behaupten, dass er einen anderen Menschen wirklich kennt.« Sie tippte sich mit dem Finger auf ihre linke Brust. »Wie soll man denn auch wissen, wie’s bei einem anderen da drinnen aussieht.« Sie presste ihre vollen Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und blickte zur Decke empor. »Joop war schon ein komischer Kauz.«
»Wieso?«
Jenny hing noch ein paar Sekunden ihren Gedanken nach, bevor sie antwortete: »Ach, er war immer so still und in sich gekehrt. Ein typischer Eigenbrötler eben.«
»Hast du irgendeine Idee, wer ihn ermordet haben könnte?«
Die attraktive Physiotherapeutin atmete tief durch. »Nein, absolut keine.« Sie kratzte sich am Arm und schüttelte dabei den Kopf. »Nee, ich hab wirklich keinen blassen Schimmer, wer das getan haben könnte. Im Team war er ausgesprochen beliebt und als Mechaniker war er ein regelrechtes Genie. Über ihn hat sich nie jemand beklagt. Es gab auch nie Zoff mit ihm. Jedenfalls hab ich nie etwas davon mitbekommen.«
»Könntest du dir eigentlich vorstellen, dass dieser Mord etwas mit …« Er stockte, wusste offenbar nicht so recht, ob er weitersprechen sollte.
»Mit?«, setzte Jenny nach.
Florian seufzte und schaute sie mit bedrückter Miene an. »Mir lässt mein Unfall einfach keine Ruhe.« Die Erinnerung daran ließ ihn erschaudern. Er schluckte so hart, als steckte ihm etwas Sperriges in der Kehle. »Wenn es überhaupt einer war und kein Attentat«, brach es aus ihm heraus.
»Ein Attentat auf dich?«, lachte die attraktive Physiotherapeutin. »Wer sollte denn ein Interesse daran haben, dass unserem süßen, kleinen Flo etwas zustößt?«
»Du
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