Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
irgendwann alles, was er weiß.«
»Habt ihr heute Morgen die Dopingkontrollen durchgeführt?«, überfiel Tannenberg seine Nichte, als sie kurz vor 12 Uhr gemeinsam mit Emma und deren Freundin Ann-Sophie in der elterlichen Wohnküche auftauchte.
»Ja, haben wir.«
»Wolfi, jetzt warte doch erst mal einen Moment«, rüffelte Margot ihren Sohn. »Marieke ist ja noch gar nicht richtig zur Tür drin.«
»Es ist aber sehr wichtig, Mutter.«
Marieke zog den beiden kleinen Mädchen die leichten Sommerjacken und die Schuhe aus. Emma nahm ihre Freundin an der Hand und führte sie zu Kurt, der sich in Erwartung der Streicheleinheiten quietschend auf dem Rücken räkelte.
»Ja, bis vor etwa einer halben Stunde waren wir im Hotel Antonihof«, antwortete sie. »Das musst du dir wirklich einmal vorstellen: Trotz Mord und Dopingkontrolle trainieren die einfach weiter. Die sitzen jetzt schon wieder auf ihren Rädern und strampeln sich die Seelen aus dem Leib.«
»Kein Wunder, die wollen auch die Tour de France gewinnen«, grummelte Jacob hinter seiner Zeitung.
Tannenberg ignorierte den Einwurf. »Und? Welchen Eindruck hast du von den Rennfahrern und ihren Betreuern gewonnen?«, wollte er von seiner Nichte wissen.
Marieke schilderte ihrem Onkel ausführlich ihre Erfahrungen mit dem Turbofood-Team. Dabei ließ sie auch Florian Scheuermanns Nervosität und seine geradezu mit Händen zu greifende Angst nicht unerwähnt.
»Der weiß schon, warum ihm so die Muffe saust«, meinte Tannenberg schadenfroh. »Den werden sie bestimmt auch mit Doping vollgepumpt haben. Und jetzt geht ihm die Düse, dass ihr ihm etwas nachweisen könnt und er aus dem Verkehr gezogen wird.« Er reaktivierte sein Schul-Französisch: »Oh la la, quel malheur! Adieu, mon cher Tour de France.«
»Aber der ist doch noch so jung«, seufzte die ungefähr gleichaltrige Marieke.
»Zum Dopen garantiert nicht. Der ist wahrscheinlich nur noch nicht so abgebrüht wie die anderen. Oder hast du’s den anderen auch angemerkt?«
»Nein, eigentlich nicht. Die waren zwar auch ziemlich geschockt, als sie uns erblickt haben. Aber außer diesem Scheuermann hatten die sich schnell auf unseren überraschenden Auftritt eingestellt. Ich vermute mal, dass diese Profi-Sportler solche unangekündigten Kontrollen schon öfter erlebt haben. Außer diesem jungen Fahrer eben. Das war bestimmt seine erste Dopingkontrolle.«
»Und vielleicht seine letzte, falls ihr etwas bei ihm finden solltet.«
»So, wie der sich benahm, bin ich mir ziemlich sicher, dass er etwas zu verbergen hat«, bemerkte Marieke.
Als sie anschließend über Dr. Graupeters bewusst gestreute Fehlinformation berichtete, klopfte sich Tannenberg feixend auf die Oberschenkel. »Das war eine Super-Idee von ihm! Damit hat er diesem aufgeblasenen, supercoolen Legslow anständig Feuer unter dem Hintern gemacht. Sag das ruhig deinem Chef. Dickes Lob von mir.«
»Lieber nicht, schließlich bin ich ja zum absoluten Stillschweigen verdonnert worden. Sonst verliere ich meinen Job.«
»Ja, ja, sicher. Dann besser nicht.«
»Siehst du, Herr Hauptkommissar, meine Enkelin darf eigentlich auch nicht ihre sogenannten Dienstgeheimnisse ausplaudern«, bemerkte Jacob, ohne seinen Blick von der inzwischen über dem gedeckten Tisch ausgebreiteten Bildzeitung zu entfernen, »aber trotzdem tut sie es. Weil wir alle zu ein und derselben Familie gehören. Und in einer Familie vertraut man sich gegenseitig.«
Der Senior schoss einen kurzen, giftgetränkten Blick in Richtung seines jüngsten Sohnes, dann steckte er wieder den Kopf in die Zeitung. »Nicht wie du, der seinem alten Vater nicht eine Silbe über seinen neuesten Mordfall erzählt.« Erneut fixierten die faltenumkränzten Augen den Kriminalbeamten. »An Marieke solltest du dir mal ein Beispiel nehmen. Sie ist viel, viel«, er suchte nach einem passenden Begriff, »viel kooperativer als du. Du solltest dich schämen, deinen alten Vater derart böswillig vor den Kopf zu stoßen.«
»Hört auf zu streiten«, sprach Margot ein Machtwort. »Und du Jacob, legst jetzt endlich die blöde Zeitung beiseite«, pflaumte sie ihren Ehemann an. »Es wird jetzt gegessen, und zwar in Ruhe!«
Während Jacob grummelnd die Bildzeitung anhob, zusammenfaltete und neben sich auf den Boden legte, betrat Heiner die Küche. Er hatte sich drei Tage ›korrekturfrei genommen‹, wie er seine Krankmeldung familienintern nannte. Sich offensichtlich bester Gesundheit erfreuend, nahm er am großen
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