Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
warst mit diesem Pieter doch gleich bei mir«, fuhr Florian fort, ohne auf Jennys Bemerkung einzugehen. »Wer stand denn an der Leitplanke, als ihr dort eingetroffen seid?«
Jenny zog die Stirn in Falten und grübelte. »Die beiden Usbeken standen an der Leitplanke. Die hängen ja auch sonst immer zusammen.« Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: »Sonst niemand.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, sonst war da niemand, als wir hinkamen.«
»Glaubst du, dass mich einer von denen geschubst haben könnte?«
»Absichtlich?«
»Ja.«
Jenny zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht, Flo.« Sie faltete die Hände und rieb ihre Daumen aneinander. »Obwohl … Ich will denen ja nichts unterstellen, aber zutrauen würde ich es ihnen schon. Die kochen hier schon immer ihr eigenes Süppchen. Die tuscheln auch oft miteinander in ihrer Muttersprache, sodass sie keiner verstehen kann. Die beiden waren mir von Anfang an sehr suspekt.«
»Aber warum könnten die denn so etwas getan haben?«, fragte Florian mit belegter Stimme. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass mich jemand absichtlich geschubst hat. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass ein Profi an dieser relativ übersichtlichen Stelle nicht mehr hätte ausweichen können. Zumal niemand direkt hinter mir hergefahren ist. Da waren mindestens zehn Meter Abstand zwischen mir und dem nächsten Fahrer. Bis ich in der Kurve scharf bremsen musste.«
»Vielleicht hast du ja trotzdem übersteuert und kannst dich nun nicht mehr daran erinnern. Unangenehmes verdrängt man ja oft.« Als sie Florians bekümmertes Mienenspiel registrierte, ergänzte sie eilig: »Natürlich, ohne dass einem so etwas bewusst sein muss.«
»Das kann natürlich auch sein.«
»Egal. Ich hab jedenfalls mal zufällig mit angehört, wie Legslow und Williams sich über deinen Einkauf unterhalten haben. Die beiden Usbeken hatten im Vorfeld offensichtlich versucht, einen weiteren Fahrer ihrer Nationalmannschaft ins Team zu bringen. Aber Legslow hat das wohl abgelehnt, weil er unbedingt einen jungen, sympathischen deutschen Rennfahrer haben wollte. Dieser Jungprofi – also du – soll als der Hoffnungs- und Sympathieträger für unsere radsportbegeisterte Nation aufgebaut werden.«
Florian fühlte sich sehr geschmeichelt. »Ach, deshalb wollten die mich.«
»Genau. Du sollst übrigens spätestens bei der Deutschlandtour ganz groß rauskommen. Das bringt hohe Einschaltquoten und viel, viel Werbung für unsere Sponsoren, worauf die natürlich total geil sind. Und zufriedene Sponsoren wiederum machen uns glücklich, weil wir alle von ihnen leben, auch du.«
»Ja, ich weiß.«
»Von daher würde ein Anschlag auf dich durchaus Sinn machen. Denn wenn du dir ein Schlüsselbein oder einen Arm gebrochen hättest, wäre dieser Usbeke höchstwahrscheinlich die erste Wahl bei der Suche nach einem Nachrücker ins Team gewesen. Denn die Zeit hätte unheimlich gedrängt. Ein ganz starker Allrounder soll das übrigens sein, angeblich stärker als du. Und dann hätte dieser Typ für dich an der Tour teilgenommen. Während du zu Hause auf der Couch vorm Fernseher gelegen und voller Frust Unmengen Chips in dich hineingestopft hättest.«
»Oh je, da hab ich aber wirklich noch mal großes Glück gehabt«, seufzte Florian Scheuermann. Er warf Jenny einen ängstlichen Blick zu. »Und dieser Usbeke ist wirklich stärker als ich?«
»Wenn das stimmt, was man in der Szene so hört.« Die junge Physiotherapeutin tätschelte sein linkes Knie. »Aber mach dir mal keine unnötigen Gedanken. Gegen unser Turbofood-Fitnessprogramm hat keiner eine Chance, egal wie stark er ist.«
»Wenn die beiden derart skrupellos sind und aus diesem Grund ein Attentat auf mich verübt haben, dann könnten die doch auch Joop ermordet haben? Was meinst du dazu?«
Jenny stieß ihren Atem so über ihre fleischigen Lippen, dass diese einen vibrierenden Ton erzeugten. »Ich weiß nicht. Welchen Grund sollten sie denn gehabt haben, Joop zu ermorden?« Sie stockte und blickte gedankenverloren einen Moment aus dem Fenster hinaus in die blauschwarze Finsternis.
»Also ich würde ihnen das zutrauen.«
»Egal, Flo. Darum soll sich die Polizei kümmern. Wir müssen unseren Job weitermachen.« Jenny zog ein Notizheft aus ihrer kleinen, prallgefüllten Sporttasche und klappte es auf. »So, du hast bisher also ein Testosteronpflaster erhalten«, sagte sie eher zu sich selbst. »Und, hat’s schon bei dir gewirkt?«, fragte sie, während sie mit einem
Weitere Kostenlose Bücher