Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
breite Bühne aufgebaut. Dahinter verhüllten riesige Sponsorenplakate den fensterlosen Betonklotz. Der Leiter des K 1 musste noch ein paarmal seinen Dienstausweis zücken, bis er und seine Mitarbeiterin sich endlich seitlich vor der Bühne platzieren konnten. Zwar dröhnte dort ohrenbetäubende Musik aus den Lautsprechern, dafür aber konnte man quasi von der ersten Reihe aus diese Inszenierung beobachten.
»Mann, ist die Stadt schon so voll«, schrie Tannenberg gegen die wummernde Discomusik an.
»Morgen beim Zeitfahren wird’s noch viel schlimmer.«
»Dann verstopfen diese ganzen …«, blökte er lauthals hinaus. Genau in diesem Augenblick endete abrupt die Musikeinspielung und Tannenberg brüllte »Idioten hier« der tausendköpfigen Menschenansammlung entgegen. »Die Stadt«, vollendete er, während seine Stimme erstarb.
Sabrina fuhr erschrocken zusammen und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Als ihrem Chef dieser Fauxpas bewusst wurde, lief er puterrot an und kniete sich aus Verzweiflung nieder. Es dauerte kaum mehr als eine halbe Minute, bis ein anderer schwarz uniformierter Catchertyp ihm und seiner Kollegin grinsend zwei Stühle hinstellte.
»Danke«, murmelte der Kriminalbeamte und nahm mit betretener Miene Platz.
Der Moderator des Tour-de-France-Veranstalters redete ohne Unterlass auf die wartenden Radsportfanatiker ein, die sich aus der ganzen Welt auf den Weg in das Herz der Pfalz aufgemacht hatten, um ihre Idole hautnah erleben zu können. Während diese professionelle Show ihrem Höhepunkt, nämlich der Präsentation der einzelnen Radsportteams zustrebte, warteten die Fahrer des Turbofood-Rennstalls hinter der Bühne wie nervöse Rennpferde auf ihren Auftritt.
Florian Scheuermann war das reinste Nervenbündel. Kein Wunder, schließlich hatte er solch einen gigantischen Rummel um seine eigene Person noch nie erlebt. Bereits auf der Fahrt durch die Stadt hatte er regelrechte Panikattacken erlitten, als er die vielen radsportbegeisterten Fans erblickte, die den Mannschaftsbus mit frenetischem Applaus begleiteten.
Wie ein Kindergartenkind, das dringend zur Toilette musste, trippelte er auf der Stelle herum. Im Zehnsekundenrhythmus führte er seine Trinkflasche an die Lippen und spritzte sich ein bisschen Flüssigkeit in den ausgetrockneten Mund. Mit fahriger Hand strich er sein grellgelbes Trikot glatt, auf dem das Turbofood-Markenzeichen, eine mit einem großen roten Herzchen besetzte Tierfutterdose, prangte. Als er über seinen Oberarm fuhr, spürte er eine kleine, schmerzende Beule. Sie befand sich exakt an der Stelle, an der Jenny ihm gestern Abend eine Injektion verpasst hatte.
»Nur ein paar Meter hinter mir stehen die Rennfahrer des Teams, das uns allen im letzten Jahr so viel Freude bereitet hat. Denn wie wir alle wissen, hat dieses renommierte Radsportteam nicht nur mit großem Vorsprung die Mannschaftswertung gewonnen, sondern hat auch den überragenden Gesamtsieger der letztjährigen Tour de France zu seinem Sieg geführt«, verkündete der Moderator.
»In diesem Jahr nimmt er allerdings nicht mehr als aktiver Teilnehmer, sondern als sportlicher Leiter am längsten und schwierigsten Radrennen der Welt teil. Eine ganz andere Herausforderung für diese Lichtgestalt der internationalen Radsportszene. Ich bin mir jedoch vollkommen sicher, dass er diese neue Aufgabe genauso optimal bewältigen wird wie die sonstigen Herausforderungen in seinem bisherigen Leben auch.«
Der Moderator legte eine kurze Pause ein, während der er zur Treppe ging und mit seinem ausgestreckten Arm auf eine Tür zeigte, die sich wie von Zauberhand öffnete. »Meine sehr verehrten Damen und Herren«, brüllte er der vielköpfigen Menge entgegen, »bitte begrüßen Sie mit mir den viermaligen Tour-de-France-Sieger Bruce Legslow.«
Tosender Applaus brandete auf. Legslow zeigte seinen Jungs das Victory- Zeichen, dann hechtete er auf die Bühne. Seine Körpersprache strotzte geradezu vor Selbstbewusstsein, als er wie eine Diva die frenetischen Ovationen seines Publikums entgegennahm. Er verneigte sich mehrmals vor seinen Fans und richtete anschließend in breitestem Südstaaten-Amerikanisch ein paar Sätze an sie, die der Moderator anschließend übersetzte.
Bruce Legslow erinnerte mit seinem schicken dunklen Designer-Anzug und seinem routinierten Auftreten an einen Star-Entertainer, der sich ausgesprochen gerne auf der Bühne bewegte. Man merkte ihm nicht im Geringsten die dramatischen Ereignisse der
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