Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
Perlenschnüren aufgefädelt vom Bahnhof kommend in Richtung der Innenstadt bewegten. »Das sind ja fast so viele Menschen wie 2006 bei der Fußball-WM.«
»Ja, nur, dass die Leute eben keine Trikots ihrer Nationalmannschaften tragen, sondern die ihrer Lieblings-Radsportteams.«
»Was ja nichts anderes ist, als ein tausendfaches Werbelaufen für die Sponsoren.«
»Klar. Aber darin liegt nun mal der Sinn dieses ganzen Tour-de-France-Zirkusses.«
»Schlaues Mädchen«, lobte Tannenberg mit einem spöttischen Grinsen.
Kurz nachdem sie in die Eisenbahnstraße eingebogen waren, blieb der Kommissariatsleiter stehen und schaute in beide Richtungen der mit Plastikzelten und Verkaufswagen gepflasterten Flaniermeile. Dieser Anblick erinnerte ihn unweigerlich an die Fußballweltmeisterschaft, bei der Kaiserslautern einer der Austragungsorte gewesen war. Auch damals waren Heerscharen von Fans friedlich durch die Innenstadt gezogen und hatten mit ihrem internationalen Charme die Herzen der ansonsten doch eher zurückhaltenden Pfälzer erobert.
»Da sind ja auch wieder welche mit diesen lustigen aufgeblasenen Kängurus«, freute er sich.
»Kein Wunder, schließlich starten bei der Tour de France auch ein paar Australier«, gab Sabrina lapidar zurück.
Ihr Vorgesetzter verweilte noch immer auf der Stelle. Er ließ einen tiefen Stoßseufzer hören. Dieser emotionale Umschwung blieb seiner sensiblen Mitarbeiterin natürlich nicht verborgen.
»Was hast du denn auf einmal, Wolf?«, fragte sie in einfühlsamem Ton.
»Ach, ich musste nur gerade an die letzte Deutsche Meisterschaft des FCKs denken. Das war 1998. Da stand ich mit meiner gesamten Familie ziemlich genau hier an dieser Stelle. Wir haben Fähnchen geschwenkt und der Mannschaft zugejubelt, als sie mit ihrem Autokorso an uns vorbeigefahren ist.«
Ein weiterer leidender Seufzer ertönte. »Was waren das doch für schöne Zeiten gewesen. Und jetzt?« Zwei kleine Tränen drückten sich in seine Augenwinkel. Er drehte den Kopf zur Seite und verteilte die Feuchte mit den Fingerkuppen auf seinen Wangen.
»Nichts als ein endloses Trauerspiel«, kommentierte Sabrina gnadenlos.
»Ja, es ist wirklich ein Drama«, stimmte ihr Tannenberg zu. »Und nicht einmal der kleinste Hoffnungsschimmer leuchtet am Horizont.«
Sabrina stieß ihren Chef, der zudem ihr väterlicher Freund und Trauzeuge war, zart in die Seite. »Vielleicht passiert ja doch noch ein Wunder.«
»Ja, vielleicht kommt irgendwann ein Großsponsor, zum Beispiel in Gestalt eines chinesischen Spielwarenproduzenten, der unseren geliebten Traditionsverein samt Stadion für’n Appel und’n Ei kauft. Und dann wird das Fritz-Walter-Stadion in Mao-Tse-tung-Stadion umgetauft.«
»Jetzt mal nicht gleich den Teufel an die Wand.«
»Doch, genau das tue ich. Ich male einen roten Teufel an die Wand!« Wie ein Revolutionär reckte er die linke Faust empor und fing urplötzlich an zu singen, und das, obwohl er schon in der Grundschule als musikalisch völlig unbegabt diffamiert wurde und nie hatte mitsingen dürfen. »Ich sprüh’s auf jede Wand: NEUE ROTE TEUFEL BRAUCHT DAS LAND !«
Diese ausgesprochen disharmonische Abwandlung des Ina-Deter-Songs war Sabrina sichtlich peinlich, denn die Passanten gafften neugierig zu ihnen herüber. »Komm, Wolf, wir müssen uns beeilen, in zehn Minuten beginnt die Präsentation der Teams. Und Turbofood soll die erste Mannschaft auf dem Podium sein«, flüsterte sie ihm ins Ohr und zog ihn mit sich.
Tannenberg brummte und setzte sich träge in Bewegung. Sein todtrauriger Blick bohrte Löcher in die Füße der vor ihm laufenden Radsportfans.
»Weißt du, was mir seit gestern Nachmittag einfach nicht mehr aus dem Kopf geht?«, fragte die junge Kommissarin und wartete auf eine Reaktion.
Doch der Leiter des K 1 antwortete nicht, sondern hing auch weiterhin seinen deprimierenden Gedanken nach.
»Wolf, hast du nicht gehört, was ich eben gesagt habe?«
»Hmh?«, machte der Angesprochene, woraufhin Sabrina ihre Frage wiederholte.
»Nein, ich weiß nicht, was dir im Kopf herumspukt«, grummelte Wolfram Tannenberg. »Aber du wirst es mir sicherlich gleich erzählen.«
»Dieser Professor Grabler hat doch gestern die Möglichkeit ins Spiel gebracht, dass auch Dr. Schneider den Chef-Mechaniker ermordet haben könnte.«
»Ja, und?«, fragte Tannenberg und kickte mit der Schuhspitze einen Plastikbecher vom Bürgersteig.
»Nehmen wir einmal an, es wäre tatsächlich so gewesen. Dann
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