Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
vielleicht nicht glauben, aber ich habe gerade eben schon wieder von ganz oben«, vor Tannenbergs geistigem Auge tauchte sein Erzfeind auf, der gerade ehrfürchtig mit dem Zeigefinger zur Zimmerdecke wies, »eine Weisung erhalten. Diesmal beinhaltet sie die Anordnung, Sie umgehend von den Ermittlungen bezüglich der nach wie vor ungeklärten Tötungsdelikte zu entbinden.«
»Das wird ja immer doller«, gab der Kriminalbeamte zerknirscht zurück.
»Mich befremdet diese Vorgehensweise ebenfalls«, erklärte Dr. Hollerbach mit einer für ihn äußerst ungewöhnlichen Kritik an seinen Vorgesetzten. »Wie dem auch sei: Ich wurde angehalten, Ihnen umgehend mitzuteilen, dass die Ermittlungen von höchster Stelle an das Bundeskriminalamt übertragen wurden.«
»Von mir aus«, knurrte Tannenberg und legte auf. »Wusste gar nicht, dass der werte Herr Generalstaatsanwalt ebenfalls Radsportfan ist«, nuschelte er vor sich hin. »Na ja, eigentlich kein Wunder, schließlich ist ja auch ein ehemaliger rheinland-pfälzischer Ministerpräsident Chef des Bundes Deutscher Radfahrer. Vielleicht unternehmen die beiden ja gemeinsame Radtouren am Wochenende.«
Erneut klingelte das Telefon. »Was will denn der schon wieder? Krieg ich jetzt wieder mal einen Anschiss, weil ich nur einsilbig geantwortet habe?«, stöhnte Tannenberg in Erwartung des Oberstaatsanwaltes.
Während er eine abschätzige Grimasse schnitt, nahm er den Hörer auf und nannte routinemäßig seinen Dienstgrad und Namen. Aber er hatte sich geirrt, denn nicht Dr. Hollerbach meldete sich am anderen Ende der Leitung, sondern der Rechtsmediziner.
»Hallo, altes Haus«, begrüßte ihn die heitere Stimme seines besten Freundes. »Wirf dich schon mal in Schale. Ich bin in zehn Minuten bei dir und entführe dich.«
»Wohin denn?«
»Ins Quack. Dort werden wir unser arbeitsfreies Wochenende einläuten. Zur Feier des Tages bist du herzlich dazu eingeladen.«
»Wieso? Was ist denn los?«, mimte Tannenberg den Unwissenden, obwohl ihm bereits eine naheliegende Erklärung vorschwebte.
»Ach, mich hat nur gerade mein Busenfreund Hohl-Hohl-Hollerbach angerufen. Der Mistkerl hat mir schadenfroh eröffnet, dass unser geliebtes BKA die Leichname, alle Asservaten, Unterlagen und so fort bei mir abholen und zur Mainzer Uniklinik bringen wird. Wie wir beide ja wissen, werden sie dort von meinen megaqualifizierten Landeshauptstadt-Kollegen begutachtet.«
Seine Stimme gewann an Schärfe. »Die Fachkompetenz dieser begnadeten Forensiker hat natürlich eine ganz andere Qualität als die stümperhafte Arbeit eines Provinz-Pathologen. Um es auf den Punkt zu bringen: Ich bin vollkommen draußen. Und wie ich tollkühn vermute, du auch.«
»So ist es.«
»Das sollten wir gebührend feiern, wie ich finde.«
»Wo du recht hast, hast du recht«, sagte Tannenberg.
Anschließend rief er seine Lebensgefährtin an und fragte Johanna von Hoheneck, ob sie ihn heute Abend für ein paar Stunden entbehren könne. Zuerst reagierte Hanne ein wenig säuerlich, denn eigentlich hatte sie vorgehabt, ihn zur Vernissage einer Bekannten mitzuschleppen. Aber als sie den Grund für die kleine Spontanfeier der beiden alten Freunde erfuhr, erteilte sie ihm großzügig die Freigabe. Zumal sie nur allzu gut wusste, wie ausgesprochen ungern Tannenberg allem beiwohnte, was auch nur im Entferntesten den Anschein einer kulturellen Veranstaltung erweckte.
In dem in der Nähe des Wildparks gelegenen, idyllischen Biergarten suchten sie sich einen schattigen Platz und orderten zwei Hefeweizen sowie die Speisekarte. Dr. Schönthaler blickte sich in der Gartenwirtschaft um.
»Gar nicht viel los. Und das bei diesem Super-Wetter«, wunderte er sich darüber, dass sich so wenig Gäste an diesem warmen Junitag auf den Weg zu dem beliebten Ausflugsziel aufgemacht hatten.
»Es ist ja noch früh am Abend«, bemerkte Tannenberg. »Vielleicht kommt der Ansturm noch. Vielleicht sind viele unserer Mitbürger auch in die Innenstadt gepilgert, um sich diese bunten Zugvögel anzuschauen, die dem Tour-de-France-Tross immer hinterherreisen. Ich hab mir heute Morgen die Präsentation der Teams angeschaut. In der Stadt herrscht wirklich ein ähnliches Flair wie damals bei der Fußball-WM.«
»Verschon mich bitte mit diesem Horror-Thema. Ohne diesen irren Größenwahn von einer Handvoll Profi-Neurotikern wäre unser geliebter 1. FCK noch immer ein finanziell kerngesunder deutscher Topverein.« Dr. Schönthaler seufzte und
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