Leidenstour: Tannenbergs neunter Fall
Fußballspieler benutzen ja auch eher die rustikale Variante der leistungssteigernden Mittel.«
Tannenberg schmunzelte. »Ich weiß, woran du gerade denkst«, behauptete er.
»Woran denn?«, fragte der Pathologe, während ein schalkhaftes Schmunzeln seine Lippen umspielte.
»An die Wahnsinnsstory in der Bildzeitung, nach der Lothar Matthäus angeblich vor jedem Bayern-Spiel Rinderblut getrunken hat.«
»Richtig. Und der Effenberg hat immer rohe Stierhoden gegessen.«
Wolfram Tannenberg rümpfte die Nase, so als ob ihm diese Leckereien gerade selbst aufgetischt worden wären. Er schob den Teller mit dem gerade angelieferten Wiener Schnitzel ein wenig beiseite. »Ehrlich? Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern.«
»Ich auch nicht. Hab ich nämlich gerade eben frei erfunden. Du glaubst aber auch wirklich alles«, amüsierte sich sein Freund und schlug sich feixend auf die Oberschenkel. »Hast du übrigens schon gehört, dass die NADA angekündigt hat, die FCK-Profis nicht mehr zu kontrollieren?«
Während Tannenberg die Augen rollte, beantwortete sein Gegenüber selbst die Frage: »Ihr Hauptargument: Ein solch unkonzentrierter und konditionsschwacher Haufen könne einfach nicht gedopt sein.«
»Da haben es die Dopingkontrolleure bei den Radprofis doch bedeutend besser. Irgendwo habe ich gelesen, dass seit dem Jahre 1960 lediglich 3 von 22 Toursiegern nicht des Dopings überführt bzw. schwer belastet wurden.«
»Und weißt du, was ich gestern gelesen habe? Es gibt ernst zu nehmende Hinweise darauf, dass im Radsport besonders bei den großen Klassikern ähnlich getürkt wird wie bei vielen Boxkämpfen.«
»Inwiefern?«
»Absprachen zwischen den leistungsstärksten Mannschaften und deren Sponsoren seien üblich – und das vor jeder einzelnen Etappe: Wer darf wann und wie lange in einer Ausreißergruppe mitfahren, wer darf eine Etappe gewinnen, wann und wie kommen die anderen Spitzenteams zum Zug und so weiter. Alles so perfekt aufeinander abgestimmt, dass die kostenlosen Werbeeinblendungen für die Sponsoren gerecht verteilt werden. Optimales Product-Placement nennt man das heutzutage.«
»Du machst doch gerade Witze, oder?«
»Nein. Und das ist bei Weitem noch nicht alles: Gerüchten zufolge existieren Deals zwischen den großen Mannschaften und der UCI, dem Weltradsportverband.«
»Worüber?«
»Über die rechtzeitige Bekanntgabe von angeblich unangekündigten Dopingkontrollen.«
»Das wäre die Erklärung dafür, weshalb die NADA vorgestern bei der Trainingskontrolle auf dem Antonihof nichts Illegales gefunden hat. Die Turbofood-Fuzzis wurden im Vorfeld darüber informiert.«
»Also, ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass es nicht nur im Radsport so läuft. Schließlich ist der gesamte Sport eine Unterhaltungsindustrie, die mit ihren umjubelten Helden Milliarden Euro umsetzt«, erklärte Dr. Schönthaler und schob sich seine mit einem Stück Fleisch und mehreren Pommes frites gespickte Gabel in den Mund.
Schmatzend fügte er hinzu: »Angeblich ist ausgerechnet der Turbofood-Konzern der potenteste Finanzier der dauerklammen WADA, also der Welt-Anti-Doping-Agentur.«
»Das gibt’s nicht.«
»Doch. Aus einem erst vor Kurzem an die Medien lancierten Dankschreiben des WADA-Vorsitzenden an den Turbofood-Konzern geht hervor, dass Turbofood in diesem Jahr fünf Millionen Euro der WADA für den Anti-Doping-Kampf zur Verfügung gestellt hat.«
Tannenberg stieß grunzend Luft durch die Nase. »Ausgerechnet die.«
»Gerade die, mein lieber Wolf. Genauso laufen die üblichen Spielchen im modernen Wirtschaftsleben ab. Schließlich ist eine Turbofood-Tochter weltgrößter Epo-Produzent und setzt mit diesem Mittel jährlich über eine Milliarde Dollar um. In der Humanmedizin wird das derzeit so arg verteufelte Epo übrigens sehr erfolgreich als Medikament bei Patienten mit Nierenleiden, in der Schlaganfall-Therapie, gegen Schizophrenie und bei vielen anderen Indikationen eingesetzt.«
»Also ist dieses Medikament ein Segen für die Menschheit.«
»Und gleichzeitig ein Fluch.«
Je länger die beiden Zechkumpane beieinandersaßen, umso melancholischer wurde der altgediente Kriminalbeamte. »Denkst du auch oft über den Tod nach?«, fragte er.
»Nee.«
»Hast du denn keine Angst vor dem Tod?«
»Nee.«
Wolfram Tannenberg seufzte. »Ich hab jedenfalls eine Heidenangst davor.«
»Brauchst du aber nicht.«
»Wieso?«
»Weil der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein irgendwann einmal Folgendes klipp
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