Leif - Hungrig nach Leben: Ein jugendlicher Liebesroman
hinunter, aus dem Haus. Pure Panik überfiel mich. Ich konnte nicht sagen, warum. Es geschah aus einem Instinkt heraus. Ich rannte den ganzen Weg von mir zuhause zu seinem Elternhaus.
Ich brach fast zusammen, als ich vor der Haustür stehen blieb. Ich hatte Seitenstechen, meine Lunge schmerzte.
Irgendetwas war anders als sonst. Irgendetwas … ich spürte, etwas war im Busch. Als ich mich umdrehte und auf die Straße blickte, sah ich es. Ein Polizeiwagen stand am Rand, direkt vor dem Haus. Ich hechelte, versuchte, mich zu beruhigen, aber mein Puls raste, mein Herz überschlug sich fast. Ich drehte mich um, als ich die Haustür hörte und erstarrte. Ein Blick in das Gesicht seiner Mutter, und ich hatte das Gefühl zu ersticken. Ich bekam keine Luft mehr.
Heute …
Fünfzehn Jahre ist es her. Fünfzehn Jahre, seit ein Ruck durch eine Kleinstadt ging, als zwei Heranwachsende aus dem Leben gerissen wurden. Fünfzehn Jahre, in denen für mich kein Tag verging, ohne an ihn zu denken. Ohne mit ihm zu sprechen. Ohne ihn zu sehen. Leif hat mich all die Jahre begleitet. Bis vor ein paar Tagen. Möglich, dass alles nur Einbildung oder Wunschtraum war, aber ich war hellwach. Ich war nicht betrunken, ich war im vollen Besitz meiner geistigen Fähigkeiten. Die Logik spricht dagegen: Er erschien mir immer mit langen Haaren, obwohl er vor unserem letzten Treffen beim Friseur gewesen war. Wenn es wirklich er gewesen wäre, hätte er dann nicht aussehen müssen wie an unserem letzten Tag?
Ja, das habe ich auch gedacht, bis ich gestern seiner Mutter begegnete. Sie war völlig aufgelöst. Das letzte Mal hatte ich sie nach seinem Unfall in einem ähnlichen Zustand gesehen. Was das Ganze dieses Mal schlimmer machte, war ihre Verwirrung. Sie murmelte und faselte undeutliche Dinge, die ich nicht verstand. Aber einen Satz, den hörte ich ganz deutlich: „Ich kann ihn nicht mehr spüren.“
War es Zufall? Oder der Beweis, dass ich ihn all die Jahre wirklich festgehalten und gesehen hatte? Dass seine Seele meinetwegen keine Ruhe gefunden hatte? Und dass deshalb auch seine Mutter ihn über all die Jahre spüren konnte? Dass sie schon damals, kurz, nachdem er gegangen war, die Verbindung gespürt hatte? Dass deshalb alle Menschen um sie herum dachten, sie hätte vor lauter Verzweiflung den Verstand verloren. Dabei hatte sich ihr nur ein Weg geöffnet, den Verlust besser zu ertragen. So wie mir. Und wir beide waren ihn gegangen.
Ich habe ihn nie losgelassen, nach ihm nie wieder eine Beziehung oder auch nur eine Verabredung mit einem Mann gehabt. Nun war Leif der Meinung, es sei an der Zeit, dass ich das änderte.
„ Dieser Typ hat ein Auge auf dich geworfen.“ Dieser Satz von Leif läutete den Anfang vom Ende ein. Wenige Stunden später war er fort. Ein Ende mit Schrecken, vollkommen unerwartet. Ohne Vorwarnung, ohne Vorbereitungszeit. Nachdem ich mich so lange nicht von ihm hatte trennen können, entschied er sich, mich in einem Überraschungsangriff dazu zu zwingen. Ist es nicht dieselbe Taktik, die er schon einmal angewandt hatte? Weil er wusste, es war die einzige Möglichkeit, mich zu etwas zu bewegen.
„ Schließ’ mit der Vergangenheit ab! Lass mich los, damit ich Ruhe finden kann!“
„ Wie soll ich das? Ich liebe dich mit meinem ganzen Herzen, mit meiner Seele, mit jeder einzelnen Zelle meines Körpers. Ich liebe dich so sehr. Ich kann nicht!“
Er legte mir einen Finger auf meinen Mund, um mich am Weitersprechen zu hindern. Seine Berührung schmerzte mich in den Grundtiefen meines Innersten. Ich hatte das Gefühl, zerrissen zu werden. Ich brach in Tränen aus und klammerte mich an ihn. Ich ließ alles raus, das sich über so lange Zeit in mir aufgestaut hatte: Die tiefe Trauer, die ungestillte Sehnsucht, die zerstörten Träume und Wünsche, die sich niemals erfüllenden Hoffnungen, meine Leidenschaft für diesen Mann, die niemals enden und niemals mehr gezähmt würde.
So saß ich dort, Stunde um Stunde, geschüttelt von Weinkrämpfen, bis er sagte: „Tu es für mich, Nina. Lass mich los. Du hast es so oft getan, warum jetzt nicht?“
„ Ich habe es niemals wirklich getan, das weißt du. Und wenn ich es jetzt tu, dann ist es für immer.“
„ Eben. Und wir beide können weitermachen. Tu es auch für René. Er würde sich freuen, wenn du endlich glücklich bist, und verliebt, wenn du ihn nicht mehr so bemutterst und betüddelst.“
„ Aber ich bin seine Mutter.“
„ Das wird sich niemals
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