Leipziger Affären - Kriminalroman
Unternehmerfamilie, die mit Unterwäsche und Strümpfen ihr Geld verdient hatte, als »großes Geschlecht« zu bezeichnen wäre vermessen, hatte sie gesagt. Doch Fleur wusste es besser, sie dachte in anderen Dimensionen.
Sie erinnerte sich noch gut an die Feste, die ihre Mutter zu geben pflegte. Eindrucksvolle Feiern an mit Speisen und Getränken überladenen Tischen. Gäste aus dem ganzen Land waren eingeladen, alle reich und schön, jedenfalls die Frauen. Fleur hatte sie stundenlang bestaunen können. Für die Männer hatte sie damals keinen Blick gehabt. Die hatten weder bunte Kleider noch prachtvollen Schmuck getragen.
Natürlich waren die Kinder ausgeschlossen gewesen. Sie hatte trotzdem Wege gefunden, um einen Blick in den Festsaal zu werfen. Meist hatte sie sich an die Tür geschlichen und hindurchgelinst, wenn die Dienstmädchen zum Servieren hinein und heraus eilten. Bis die Mutter sie erwischt hatte und sie in die obere Etage verbannt wurde. Dort hatte sie auf dem Treppenabsatz gehockt und nach unten gelauscht.
Einmal war ein Paar schwankend und kichernd nach oben gekommen. Fleur hatte sich versteckt, dann war sie den beiden bis in eines der Zimmer gefolgt. Sie hatte alles gesehen, das Zucken und Zappeln, Stöhnen und Kreischen. Widerlich! Obwohl sie weglaufen wollte, war sie wie angewachsen dagestanden. Irgendwann war sie langsam zu dem Kamin geschlichen und hatte den Schürhaken genommen. Im letzten Moment hatte sich der Mann umgedreht. Der Schürhaken war Fleurs Händen entglitten. Wie von Furien gehetzt war sie geflohen. Seitdem verabscheute sie Festlichkeiten aller Art.
Die Papierfetzchen bildeten mittlerweile ein ansehnliches Häufchen. Wie der Inhalt eines Federkissens, so leicht und flockig lagen sie über den Boden verstreut.
Wenn es nicht anders ging, musste sie eben zu drastischeren Mitteln greifen. Sie war bereit, aus Fehlern zu lernen. Vor diesem Heine würde sie sich allerdings vorsehen müssen. Am besten, sie ging ihm aus dem Weg.
Achtlos krabbelte sie über das Häufchen hinweg zum Bett. Voller Eifer wuchtete sie Säcke und Tüten zur Seite, baute Türme und Stapel, wo bereits andere Sachen und Gegenstände wirr durcheinanderlagen, nur um sie gleich darauf woandershin zu verfrachten. Nach einer halben Stunde war ihre Energie verbraucht. Kraftlos ließ sie sich an Ort und Stelle auf ein Bündel Decken fallen.
Sie legte die Stirn in Falten, doch so angestrengt sie auch nachdachte, es fiel ihr nicht mehr ein, was sie soeben noch gesucht hatte.
Das altvertraute Beben kündigte sich an. Wie eine Welle rollte es durch ihren Leib. Ihr Kopf schmerzte, als wolle er zerspringen. Dazu dieses Zucken, diesmal am rechten Augenlid.
»Nicht jetzt«, schrie sie zornig.
Die Wut verlieh ihr neue Kräfte. Sie raffte sich auf und wühlte sich bis zum Fenster durch den Müll hindurch. Sie kam gerade noch rechtzeitig um zu sehen, wie Kommissar Heine geradewegs auf den Eingang zumarschierte.
Die Villa strahlte unverändert moderne Eleganz aus. Hennes Blick wanderte an der weißen Fassade empor. Im Obergeschoss bewegte sich eine Gardine, und Henne schmunzelte. Fleur König war wie immer im Bilde.
Alexa empfing sie im selben Raum wie beim letzten Mal. Von der sterilen Ordnung war nicht viel übrig geblieben. Auf dem Tisch stapelten sich Zeitschriften und Bücher, die Couch war mit zerwühlten Kissen übersät.
Die Hausherrin steuerte auf einen Sessel zu und hüllte sich in eine Decke.
»Sie müssen entschuldigen, es geht mir ziemlich schlecht.«
»Krank?«
»Nichts Ernstes, ein dummer Unfall. Die Bremse meines Wagens hat versagt.«
»Was ist passiert?«
»Ich bin von der Auffahrt zur Straße gefahren. Sie ist abschüssig, wie Sie sicher bemerkt haben. Beim Einlenken wollte ich bremsen. Es ging nicht, da bin ich an die Mauer geprallt.«
»Kann ich Ihr Auto sehen?«
»Das ist schon in der Werkstatt. Der Monteur hat den Fehler bereits entdeckt, die Bremsflüssigkeit ist ausgelaufen.«
»Das kommt normalerweise sehr selten vor«, sagte Leonhardt.
Henne wusste, dass jeder siebte Autofahrer selten unter die Motorhaube schaute. So blieben Mängel oft unentdeckt, ein vor Kurzem erst gerissenes Bremskabel hätte aber selbst ein routinierter Fahrer vermutlich nicht bemerkt.
»Wissen Sie noch, wann der letzte Wartungstermin war?«, fragte er stattdessen.
»Eigentlich ist es Dankwarts Wagen.«
»Das heißt?«
»Er hat sich penibel genau um die technischen Sachen gekümmert. Das war eine Marotte von
Weitere Kostenlose Bücher