Leise Kommt Der Tod
meine... ich denke, dass ich immer schon mal dorthin wollte, weil er das Ende seines Lebens da verbracht hat. Aber der ›Tag der Toten‹ interessiert mich ebenfalls. Ich war noch nie dort, und für jemanden mit meinem Beruf ist das wirklich inakzeptabel.«
»Hast du noch Kontakt zu seinen Freunden?«
Sie hatte keine Ahnung, wie sie auf dieses weitaus angenehmere Gesprächsthema gekommen waren, aber sie dankte dem Himmel dafür. »Aber nein. Er hat dort mit einer Frau zusammengelebt. Nach seinem Selbstmord hat sie meine Mutter angerufen und ihr die traurige Nachricht übermittelt. Sie sprach kaum Englisch. Meine Mutter musste ihren argentinischen Nachbarn rufen, damit er ihr übersetzte. So hat sie es erfahren.«
»Wie war der Name der Frau?«
»Maria. Ich glaube, sie war zunächst nur eine Art Haushälterin oder Putzfrau, und dann haben sie vermutlich ein Verhältnis angefangen, und schließlich ist sie bei ihm eingezogen. So hat er es seit jeher gemacht. Er hatte ein Faible für Haushälterinnen, Dienstmädchen, junge Mädchen. Die Sorte Frau, die nicht zu viel von ihm verlangte.«
»Vielleicht hat er sie geliebt«, sagte Ian, und seine Worte blieben im Raum stehen. Wir haben uns diese Worte noch nie gesagt , dachte Sweeney bei sich. Wir haben diese Worte nie ausgesprochen.
»Womöglich«, entgegnete sie schnell. »Es hat schon Seltsameres gegeben.«
»Die Sache ist doch«, sagte Ian, während er die Spülmaschine zuklappte und ihr einen Blick zuwarf, als hätte sie ihn schwer enttäuscht, »dass es oft keinen Grund für das gibt, was die Menschen tun. Manchmal ist es einfach nur Liebe.«
Es waren ungefähr tausend Dinge ungesagt geblieben, aber sie war müde und - damit hatte er Recht - ziemlich betrunken. Heute Nacht wollte sie an nichts davon denken. Also küsste sie ihn, hart und sehr ernsthaft. »Ich wünsche mir, dass du mich ins Bett bringst«, sagte sie. »Ohne zu reden.«
»Aber wir müssen reden«, erwiderte er.
»Später«, flüsterte sie. »Bring mich jetzt einfach nur ins Bett.«
Und das tat er dann auch. Aber später sah sie im Dämmerlicht aus dem Flur, dass er immer noch traurig aussah, als ob ihm etwas versprochen worden wäre, das er nicht bekommen hatte. Und als ob er immer noch darauf warten würde.
13
Die Eröffnung der Ausstellung »Leise kommt der Tod: Kunst am Ende des Lebens« war für die zweite Septemberwoche anberaumt. Noch war kein Ende der Hitzewelle in Sicht, und um vier Uhr nachmittags hatte es schwüle fünfunddreißig Grad. Die feuchte Luft hing drückend über der gesamten Ostküste, und ganz besonders über dem Hapner Museum.
Sweeney hatte den ganzen Tag im Museum verbracht, bevor sie gegen drei nach Hause geeilt war, um zu duschen und ihre Kleider zu wechseln. Sie fand gerade noch Zeit, einen eisgekühlten Kaffee zu trinken, ehe sie wieder aufbrach, um sich mit Ian und Toby vor dem Museum zu treffen. Kurz nach ihr kamen die beiden auch schon an, Ian direkt von der Arbeit, elegant mit Anzug und Krawatte, Toby in Jeans und einem weißen Hemd, das aussah, als hätte es zum Trocknen aus seinem Jeepfenster gehangen. Mittlerweile hatte sie jegliches Selbstvertrauen verloren.
»Sehe ich einigermaßen aus?«, fragte sie, als die zwei auf sie zukamen. Zu beobachten, wie sie ihre Köpfe zusammensteckten, verunsicherte sie noch mehr. Worüber unterhielten sie sich nur? Toby hatte vorgeschlagen, sich mit Ian zu einem späten Mittagessen zu treffen und danach gemeinsam zum Museum hinüberzugehen. Ian war von dem Vorschlag sehr angetan gewesen.
»Wir sehen Toby viel zu selten«, hatte er nach dem Telefonat
zu Sweeney gesagt. »Wir sollten ihn bald mal zum Abendessen einladen.«
Toby war in letzter Zeit viel unterwegs gewesen. Nach langen Mühen hatte er es endlich geschafft, sein Buch - einen autobiografischen Roman über seinen Vater, einen italienischen Dichter - fertigzuschreiben und einen Verleger zu finden. Seinen Vorschuss hatte er größtenteils dazu genutzt, Reisen zu unternehmen. Drei Monate hatte er in Europa verbracht, in Ecuador und Peru war er vier Monate lang auf Wanderung gewesen. Zu lange, wie Sweeney fand. Er war ihr bester Freund und würde es immer sein. Als sie seine schlaksige Erscheinung nun auf sich zukommen sah, wurde ihr bewusst, wie sehr er ihr gefehlt hatte.
»Ja, du siehst toll aus«, sagte Ian und küsste sie. Er wirkte irgendwie verwirrt. »Ganz wie immer.«
Toby, der Sweeney viel länger kannte und genau wusste, was sie in diesem Moment
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