Leise Kommt Der Tod
Ausstellungseröffnung kommen. Anfang November könnten wir dann zusammen rüberfliegen und ein paar Wochen bleiben, was meinst du? Vielleicht über Thanksgiving. Ich würde mich wirklich freuen, wenn du Eloise endlich kennen lernen würdest. Wir könnten auch für ein paar Tage aus der Stadt rausfahren und herumreisen. Na, wie hört sich das an?«
»Anfang November? Ehrlich gesagt habe ich daran gedacht, zu der Zeit nach Mexiko zu reisen, zum ›Tag der Toten‹. Ich war noch nie dort, aber ich möchte etwas darüber schreiben. Angeblich ist es...« Als sie den Ausdruck in seinem Gesicht sah, stoppte sie ihre Erklärung mitten im Satz und fragte besorgt: »Was ist los?«
»Nichts.« Er stand abrupt auf und ging in die Küche. Sie hörte ihn draußen auf der Feuertreppe mit dem Grill hantieren und fühlte sich plötzlich wie ein ungehorsames Kind, das auf seine Bestrafung wartet.
»Hättest du mich gefragt, ob ich mitkommen möchte?«, wollte er wissen, als er wieder ins Zimmer trat.
»Ich weiß nicht. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Schließlich geht es um die Arbeit.« Natürlich stimmte das nicht hundertprozentig. Sie hatte sich sehr wohl darüber Gedanken gemacht. Nur war sie sich noch nicht klar darüber, ob sie ihn dabeihaben wollte. Und jetzt hatte sie es vermasselt. »Warum, möchtest du mitkommen?«
Er zog einen Schmollmund, stand wieder auf und trug seinen Teller in die Küche. Sie hörte ihn mit dem Geschirr hantieren, er räumte wohl die Spülmaschine aus. Als Nächstes schlugen in der Spüle Töpfe aneinander. Sie ließ ein paar Minuten verstreichen, ehe sie ihm in die Küche folgte, in den Händen ihr Weinglas und die halbvolle Flasche.
»Bist du jetzt wütend auf mich? Sag doch einfach, ob du mit nach Mexiko willst!«
Er betrachtete sie von oben bis unten, und sie plapperte weiter in dem Versuch, die Stille zu füllen. »Natürlich kannst du mitkommen. Ich war mir nur nicht sicher, ob du das möchtest. Denn ich hatte vor, in billigen Jugendherbergen zu übernachten und die eine oder andere Wandertour zu unternehmen. Und ich wollte ein paar archäologische Ausgrabungsstätten besichtigen. Ich weiß, dass du eher der Hotel-Typ bist, deshalb dachte ich, es sei besser, alleine zu reisen, aber wenn du willst …«
Er drehte sich zu ihr um. »Geht es um deinen Vater?«
»Meinen Vater?« Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach.
»Ob es mit deinem Vater zu tun hat? Dass du nach Mexiko gehst?«
Sie lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und griff nach ihrem
Weinglas, schwankte aber ein wenig, als sie es endlich erreichte. Ihr war klar, dass er jede ihrer Bewegungen genau beobachtete.
»Wie viele Gläser Wein hast du heute Abend getrunken?«
»Wie bitte?«
»Du hast mich schon verstanden«, sagte er in ruhigem Ton, ohne eine Spur von Ärger. »Waren es fünf oder sechs?«
»Genauso viele wie du«, entgegnete sie und ging zurück ins Wohnzimmer, um das restliche Geschirr abzuräumen.
»Nein, das stimmt nicht«, sagte er, als sie wieder in die Küche kam. Er war betont ruhig und freundlich, als ob er mit einem kleinen Kind sprechen würde. »Du hattest sechs Gläser. Und es macht mir ein bisschen Angst, dass du noch nicht mal richtig betrunken bist.«
»Ian, können wir das Thema bitte lassen? Es geht mir gut.« Um ihm zu demonstrieren, wie unwichtig ihr der Wein war, trug sie ihr Glas zur Spüle hinüber und schüttete den Inhalt in den Abfluss.
»In letzter Zeit trinkst du ziemlich viel«, sagte er sehr ruhig. »Es ist mir schon länger aufgefallen, aber gerade jetzt ist mir bewusst geworden, wie viel es wirklich ist.«
»Ian, es geht mir gut.« Sie fixierte seinen Blick, um zu zeigen, wie nüchtern sie war, obwohl ihr das Licht über seinem Kopf ein bisschen verschwommen erschien und sie das Gefühl hatte, ein paar Zentimeter über dem Boden zu schweben. Sie griff nach der Arbeitsplatte, ließ sie aber sofort wieder los, als sie Ian auf ihre Hand starren sah.
Seine Gedanken waren schwer zu erraten. Sie sah Wut in seinem Gesicht, dann wieder Zuneigung und letzten Endes etwas Weiches und Trauriges, das eine Welle der Panik durch ihren Körper jagte.
»Wie hast du das mit meinem Vater gemeint?«, fragte sie in dem Versuch, das Thema zu wechseln. Im selben Moment wurde es ihr klar. »Oh, du meinst wegen Mexiko?«
Er nickte, wobei sein Kopf etwas schwankte und er sie immer noch mit einem Blick anstarrte, der in ihr den Wunsch erweckte, einfach nur wegzurennen.
»Nun, also, ich
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