Leise Kommt Der Tod
sein.«
»Willst du die Wahrheit wissen? Mir ist speiübel vor Aufregung. Außerdem fühle ich mich plötzlich so... traurig und leer.«
»Na ja, dieses Gefühl hat vermutlich jeder nach so einem Höhepunkt. Du hast immerhin fast ein Jahr daran gearbeitet, und jetzt musst du dir ein neues Ziel suchen. Nicht nur arbeitstechnisch. Auch, was deine Wohnung betrifft, und Ian.« Er zögerte, ehe er fortfuhr. »Er hat mir übrigens von London erzählt, auf dem Weg zum Museum. Wie wirst du dich entscheiden?«
»Ich habe noch überhaupt keine Ahnung.« Sie beobachtete ein Paar - vermutlich Studenten -, das sich am anderen Ende der Galerie küsste und leise flüsternd miteinander sprach, während sie eine Vitrine mit Kanopenkrügen betrachteten. Sie fragte sich, ob die beiden wussten, dass in diesen Gefäßen einst menschliche Organe aufbewahrt worden waren.
»Du wirst mit ihm nach drüben gehen, stimmt’s?« Auch Toby betrachtete das Pärchen.
»Was meinst du denn? Es hört sich ganz danach an, als würdest du mir dazu raten.«
»Sweeney, ich will nicht, dass du weggehst, und das weißt du auch. Aber, nun ja, es scheint mit euch beiden ziemlich ernst zu sein. Deshalb habe ich eben vermutet, du willst...«
»Lass uns bitte das Thema wechseln«, sagte sie, als Willem sich den beiden näherte. Er führte einen jungen Mann im schwarzen Anzug am Arm neben sich her.
»Sweeney«, begann er, Toby komplett ignorierend, »ich möchte dir gerne David Milken von der New York Times vorstellen. Er würde sich freuen, wenn du ihn ein bisschen herumführen könntest.« Milken wirkte eher wie ein Maler denn wie ein Kritiker in seinem schwarzen Rollkragenpullover und den farblich passenden Cowboystiefeln.
»Mit dem größten Vergnügen«, sagte sie und merkte, wie sie nervös wurde. Vermutlich würde dieser Mann eine Kritik über ihre Ausstellung schreiben.
»David, Sweeney ist eines unserer genialen jungen Talente. Ich selbst war sehr gespannt auf ›Leise kommt der Tod‹.« Sie nickte Toby zum Abschied zu und dirigierte David Milken zur ersten Galerie, während sie über Willem nachdachte. Zeitweise schien es, als würde er persönliche Interessen verfolgen, dabei ging es ihm im Grunde immer nur darum, den größtmöglichen Profit für das Museum zu sichern. Wenn man seine eigenen Pläne mit denen von Willem in Einklang brachte, hatte man es leicht. Er war bei der Konzeption und Vorbereitung der Ausstellung - speziell im Bereich der ägyptischen Grabbeigaben, die sein Fachgebiet waren und nicht Sweeneys - mit beteiligt gewesen, und trotzdem hatte er nichts dagegen, dass Sweeney allein die Lorbeeren erntete.
»Das hier sind Kanopenkrüge«, erklärte sie Milken und zeigte ihm ein paar Exemplare aus der sechsundzwanzigsten Dynastie. »Sie wurden aus Alabaster hergestellt und dienten als Behälter für Organe, die die Verstorbenen im Jenseits benötigen würden.«
»Oho«, rief er aus und lächelte sympathisch. »Was haben die Symbole für eine Bedeutung?« Er betrachtete die kleinen Gefäße mit rundem Boden durch das Vitrinenglas und bewunderte ihre Deckel mit den geschnitzten Köpfen.
»Totengötter. Sie stellen die vier Söhne des Horus dar.« Sie zeigte der Reihe nach auf die kleinen Figuren und erklärte: »Der mit dem Paviankopf ist Hapi. Er bewachte die Lunge. Das ist Imset, der Einzige von ihnen, der einen menschlichen Kopf hat. Er beschützte die Leber. Der Schakal, Duamutef, war für den Magen zuständig, und der Falke, Qebehsenuef, für die Eingeweide.«
»Und wer war für das Gehirn verantwortlich?«
»Ehrlich gesagt glaubten die Ägypter nicht, dass wir das Gehirn im Jenseits brauchen würden.«
»Ernsthaft?«
»Ja. Es ist interessant, wenn man diese Ansichten mit dem christlichen Glauben vergleicht, bei dem die menschliche Seele einen hohen Stellenwert hat.«
»Das stimmt. Wir Judeo-Christen würden unseren Körper am liebsten verlassen und uns ausschließlich auf unseren Geist fokussieren, nicht wahr?« Er strich mit der Hand an der Seite eines glatten steinernen Sarkophages entlang. »Wurden alle ägyptischen Könige auf dieselbe Art und Weise bestattet wie König Tut? Wie eine russische Puppe?«
»Der Körper musste konserviert werden«, erklärte Sweeney, »und die vielen Schichten von Bändern und Wickeln haben sich für diesen Zweck bewährt. Ich persönlich finde das höchst interessant. Einerseits handelten die Ägypter sehr diesseitsorientiert, was das Konservieren der Organe bezeugt. Aber
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