Leise Kommt Der Tod
andererseits - wie sollte sich der König im Jenseits aus den zwanzig Särgen befreien, in denen er begraben lag?«
Daraufhin musste Milken lachen, ehe er Sweeney in den nächsten Raum folgte, um sich die Fotografien der Grabsteine anzusehen. »Beachten Sie die verschiedenen Entwicklungsstufen«, sagte sie. »Alles beginnt mit diesen puritanischen Bildern von Skeletten, die sehr realistisch sind. Allmählich verändert sich der Fokus hin zur spirituellen Darstellung.« Sie zeigte auf Fotos von rundgesichtigen Seelenköpfen. »Diese Exemplare
hier entstanden zu einer Zeit, als sich der Glaube an einen Himmel und an ein Leben nach dem Tod manifestierte.«
»Geht es nicht immer um das Leben nach dem Tod?«, fragte Milken, während er sich in der gut besuchten Galerie umsah.
»Bis zu einem gewissen Grad natürlich schon. Obwohl ich persönlich diesen Begriff lieber aus einem anderen Blickwinkel heraus interpretiere: ›Das Leben nach dem Tod.‹ Wie sieht das Leben derer aus, die einen nahestehenden Menschen verloren haben? Diese Ausstellung handelt eigentlich von ihnen. Allein diesen Menschen haben wir Kanopenkrüge und Post-mortem-Fotografien zu verdanken.«
Milken wollte wissen, woher ihr Interesse für Totenfotografien kam. Sweeney erzählte ihm, dass sie einst Fotos von Toten auf den Schlachtfeldern des Bürgerkriegs gesehen hatte und seitdem von diesem Thema besessen war. Als sie zum ersten Mal ein Post-mortem-Foto betrachtet hatte, war sie von der Wirkung, die das Kleinkind auf sie gehabt hatte, regelrecht gefangen gewesen. Noch immer hatte sie das Bild vor Augen, wie es in seiner Sonntagstracht im Bett aufrecht dasaß.
Sie trat zurück, sodass er die Bilder auf sich wirken lassen konnte. Sweeney wusste, dass die Betrachter einen Moment der Ruhe benötigten, um sich dessen bewusst zu werden, was sie da sahen. Als er fertig war, zeigte ihm Sweeney die letzte Galerie.
»Das hier finde ich besonders faszinierend«, meinte er angesichts einer Sammlung von Trauer-Klebebildern. »Ich wusste nicht einmal, dass so etwas existiert.«
»Ich persönlich mag diese Stücke auch sehr gerne. Es ist wirklich interessant, wie wir unsere Vorstellungen zum Thema Tod in unsere persönlichen Bereiche einfließen lassen. Buddhisten haben Schreine in ihren Häusern, und die Puritaner betrachteten ihre makaberen Grabsteinschnitzereien täglich, wenn sie durch ihre Siedlungen wanderten. Wir Amerikaner leben ja praktisch in unseren Autos, was also spräche dagegen, sie in rollende Gedenkstätten zu verwandeln?«
Sie verabschiedete sich von ihm und machte sich auf die Suche nach Ian und Toby, die in ein Gespräch mit Lacey und Jeanne vertieft waren. Für den festlichen Anlass hatte sich Jeanne in ein griechisch-römisch inspiriertes Kleid gehüllt, das ihre Brüste extravagant mit Wirbeln blauer Seide umspielte. Das Haar hatte sie passend dazu in zwei Schnecken eingedreht.
»… dass er einfach nicht versteht, wie sehr Frauen hier an der Universität diskriminiert werden«, hörte Sweeney sie sagen. »Das ist alles ganz großer Mist. Ich sehe es wirklich als meine Mission an, diese Leute umzuerziehen.«
»Und, wie ist es gelaufen?«, fragte Ian und gab Sweeney einen Kuss auf die Wange.
»Ich denke gut. Er war sehr interessiert.«
In diesem Moment betrat ein junger Mann in einem knallig bedruckten Hawaiihemd den Raum und rief: »Hi, Jeanne.«
»Trevor.« Sie lief rot an, was Sweeney bei ihr noch nie erlebt hatte. Normalerweise ließ Jeanne sich von nichts aus der Ruhe bringen. »Leute, das ist Trevor Ferigni.« Eine Runde umständliches Händeschütteln folgte.
»Ich finde Ihre Ausstellung klasse«, sagte er zu Sweeney. »Eine echt coole Sache.« Er strahlte die typische kalifornische Leichtigkeit aus und dazu eine Form von Selbstsicherheit, die man bei Studenten nicht oft sah. War er überhaupt ein Student? Es musste so sein. Aber woher kannte er Jeanne? Normalerweise widmete sie männlichen Studenten nicht gerade übermäßig viel Aufmerksamkeit. Sweeney hatte sogar schon von Beschwerden deswegen gehört. Unter den Studenten ging das Gerücht um, dass Frauen mit zehnmal höherer Wahrscheinlichkeit eine Eins in Jeannes Kursen bekamen als Männer.
Jeanne zerrupfte mit den Fingern nervös eine Cocktailserviette, während sie sagte: »Wollte der Times -Journalist mit mir sprechen? Du hast ihm doch von meiner bevorstehenden Ausstellung erzählt, nicht wahr?«
Eine unangenehme Stille entstand. »Aber ja«, erwiderte Sweeney.
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